Bei einer Marsexpedition hat sich (unfreiwillig?) ein blinder Passagier eingeschlichen. Der Sauerstoff reicht aber nicht für vier Menschen. Joe Pennas unaufgeregt erzähltes Weltraumkammerspiel "Stowaway – Blinder Passagier" wirft ethisch-moralische Fragen auf und zieht daraus seine Spannung.
Fast überall auf der Welt erschien das Science-Fiction-Drama "Stowaway – Blinder Passagier" schon Ende April 2021 beim Streamingdienst Netflix. In Deutschland hingegen wird der zweiten Regiearbeit des Brasilianers Joe Penna ("Arctic") nach dem Ende des Corona-Lockdowns zunächst die Ehre eines Kinostarts zuteil. Die Gründe dafür sind ebenso einleuchtend wie einfach: Deutsche Produzenten trieben das Projekt maßgeblich voran, und der komplette Dreh fand in den Kölner MMC-Studios und den bei München gelegenen Bavaria Studios statt.
Vom Ansatz her orientiert sich der Regisseur, der zusammen mit Ryan Morrison auch das Drehbuch schrieb, an bedächtig erzählten, einen eher intimen Rahmen absteckenden Werken wie Duncan Jones' Erstling "Moon", in dem Sam Rockwell einen einsamen, auf dem Mond einer eintönigen Arbeit nachgehenden Astronauten verkörperte. "Stowaway – Blinder Passagier" handelt von einer für die Menschheit vermutlich wegweisenden Marsmission, ist aber ein Vier-Personen-Stück, das die meiste Zeit an Bord eines Raumschiffs spielt.
Auf die zwei Jahre lange Expedition bricht Kommandantin Marina Barnett (Toni Collette) zusammen mit der Medizinerin Zoe Levenson (Anna Kendrick) und dem Biologen David Kim (Daniel Dae Kim) auf, der am Zielort ein für die geplante Kolonisation wichtiges Algenexperiment durchführen soll. Den Start inszeniert Joe Penna, anders als man es aus vielen Science-Fiction-Filmen kennt, als äußerst ruckelige Angelegenheit. Während die Kamera das Cockpit nicht verlässt und die Anspannung der dreiköpfigen Crew aus nächster Nähe einfängt, kracht und wackelt es an allen Ecken und Enden – Realismus pur.
Nicht ganz so genau nimmt es der Regisseur mit der Plausibilität, wenn Marina einige Stunden später durch Zufall einen vierten Passagier entdeckt. Der Techniker Michael Adams (Shamier Anderson) scheint bei Wartungsarbeiten vor dem Abflug das Bewusstsein verloren zu haben und kracht nun mit einer Deckenverkleidung zu Boden. Seine ungeplante Anwesenheit ist ein Schock und nährt leise Zweifel, ob sich der Mann nicht vielleicht absichtlich in das Raumschiff geschmuggelt haben könnte.
Dass Michaels Fehlen niemandem aufgefallen sein soll, ist wenig glaubwürdig. Eine solche Panne sei eigentlich unmöglich, betont sogar einer der Anwesenden. Damit "Stowaway" seine spätere Wirkung entfalten kann, muss man an dieser Stelle etwas Wohlwollen aufbringen und die Logik ein wenig außer Acht lassen. Nur wenig später konfrontiert das Drehbuch die Protagonisten mit einer noch schlimmeren Entdeckung: Das Versorgungssystem des Shuttles hat einen irreparablen Schaden davongetragen, sodass der Sauerstoff nicht für vier Menschen reicht. Da eine Rückkehr zur Erde bereits ausgeschlossen ist, braucht es dringend einen anderen Ausweg.
Diese enorme Drucksituation hätte man sicher nutzen können, um den Film schnell in Richtung eines deftigen Survivalthrillers zu lenken. Joe Penna und Koautor Morrison geben sich jedoch nicht simplen Eskalationsmechanismen hin. Ihre Geschichte ist primär ein Drama von ethisch-moralischer Tragweite, in dem die Figuren spürbar um eine Lösung ringen: Darf man eine Person – in diesem Fall Michael – für das Wohl der anderen und das Gelingen der Mission opfern? Diese Frage steht ab einem gewissen Punkt im Raum und wird mehrfach neu diskutiert. Auch wenn bei manchen die Bereitschaft größer ist, mit "Ja" zu antworten – Skrupel und Unsicherheit blitzen immer wieder auf.
Über seine Protagonisten verrät der Film nicht allzu viel. Weil die Darsteller aber ihre Rollen engagiert ausfüllen, folgt man dem heiklen Treiben mit anhaltendem Interesse. Die Enge des Raumschiffs, das übrigens betont unelegant und bodenständig aussieht, erzeugt ein Gefühl der Beklemmung, des Ausgeliefertseins. Irgendwann geht es für zwei Passagiere auch nach draußen zu einem riskanten Einsatz, der auf klassische Weise an der Spannungsschraube dreht und optisch überzeugen kann. Schade ist allerdings, dass "Stowaway – Blinder Passagier" etwas abrupt endet und die emotionale Wucht einer gravierenden Entscheidung dadurch nicht voll zur Geltung kommen kann.
Stowaway – Blinder Passagier, im Kino ab: 24.06.2021
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH