Wien in naher Zukunft: Vincent Baumann (Clemens Schick) arbeitet als Versicherungs-Agent für den Konzern EAR. Er ist das, was man einen Karrieristen nennt: zielstrebig, ehrgeizig, effizient. Doch Baumann verkauft keine Versicherungen, wie wir sie heute kennen. Er arbeitet für ein System, das nicht nur aus den Lebenden Kapital zu ziehen vermag, sondern vor allem aus den Toten. Er verkauft Todesversicherungen.
Das System ist so simpel wie gnadenlos: Wer verschuldet stirbt, wird künstlich am Leben erhalten und ausgeschlachtet; als menschliches Ersatzteillager beispielsweise, als Leihmutter, oder indem das Hirn der "Toten" als Informationsspeicher missbraucht wird. Tausende von Untoten hängen also in einer Fabrik der EAR, an Schläuche angeschlossen und verwertet. Gegen dieses Prozedere aber kann man sich versichern, wer bei Vincent Baumann oder einem seiner Kollegen eine Police abschließt, darf sterben. Wer das nicht tut, muss mit den Konsequenzen leben.
Das Wien, in dem Baumann arbeitet, ist eine zutiefst gespaltene Welt. Die EAR und der Staat auf der einen Seite, die "Parallelgesellschaft" auf der anderen Seite. In der lebt auch Lisa Sokulowa (Lena Lauzemis). Zwar kommt sie aus reichem Elternhaus, ihr Vater Wladmir (Daniel Olbrychski) hat mit IT-Technologien ein Vermögen gemacht, doch Sokulowa ist dieses unmenschliche System zuwieder. Wenn sie nicht in einem Nachtclub auf der Bühne steht, kämpft sie mit Freunden dagegen an, die Aktivisten versuchen, Sterbende vor dem Zugriff durch die EAR zu retten.
Auch Baumann muss immer wieder mal in diese Parallelwelt, schließlich müssen die Policen irgendwie auch an den Mann gebracht werden. Und dabei gehen weder er noch sein Arbeitgeber zimperlich vor. Quoten müssen erfüllt werden, wer nicht spurt, wird degradiert, gnadenlose Auslese herrscht unter den Agenten. Und damit sie ihre Ausflüge ins Draußen auch gut überstehen, gibt es für sie Spritzen und Tabletten gegen das, was die Obrigkeit "Kulturschocks" nennt, Spritzen und Tabletten zur Desensibilisierung vor der Wirklichkeit – vor Gefühlen wie Angst, Mitleid oder Liebe.
Doch eines Tages begegnen sich Baumann und Lisa Sokulowa. In seiner Welt ist alles Beton und Neonlicht, Technokratie und Gehorsam. In ihrer ist alles Schutt und Dämmerlicht, Musik und Revolution. Und: Während Lisas Vater sich weigert, sich versichern zu lassen, hat er für seine Tochter längst eine Police abgeschlossen, ohne deren Wissen. Baumanns Vorgesetzte Diana Dorn (Marion Mitterhammer) aber hofft nicht nur, dass er den sturen Sokulowa noch überzeugen kann, sie hofft vor allem, dass Baumann dem Konzern einige der Aktivisten ans Messer liefern kann.
Doch nach und nach wachsen in Baumann Zweifel an dem, was er da tut, und nach und nach bekommt auch die Wirklichkeit immer mehr Macht über ihn, Desensibilisierung hin oder her. In einer scheinbar kalten Welt erwachen langsam die Gefühle, und so versuchen beide irgendwann, das System zu durchbrechen und beginnen ein gefährliches Spiel. Doch fragt sich am Ende, wer hier eigentlich mit wem spielt und ob es überhaupt Gewinner dabei geben kann.
Was Regisseur Valentin Hitz mit "Stille Reserven" geschaffen hat, ist eine moderne Variante des Science-Fiction-Films, eine Art deutsch-österreichische Matrix-Adaption, nur viel düsterer, dystopischer und trister. Diese Welt, in der Baumann und Sokulowa da leben, sie ist so dunkel, dass es fast scheint, als gebe es gar keinen richtigen Tag. Und sie ist so durchorganisiert, dass kaum ein Gefühl von Privatheit aufkommt, von Alltag, von Freude. Hier das System, da der Widerstand, und dazwischen die beiden Protagonisten, die ihren Rollen auf unheimlich perfekte Weise gerecht werden. Wie überhaupt die Auswahl der Schauspieler ebenso gnadenlos gut funktioniert wie das Setting und die Kamera von Martin Gschlacht.
Dazu kommt eine musikalische Untermalung, die, wie so oft in Science-Fiction-Filmen, mit dem Genre bricht, das im Varieté angesiedelt ist und in vergangenen Epochen, das die Bühne mit all ihren Reizen feiert, während die Handlung selbst in einer grauen, mechanischen Welt zu versinken droht. Ein Gegensatz, der brutal, aber nie aufgesetzt wirkt.
Und so hat Valentin Hitz einen großen Film geschaffen, der zeigt, dass Science-Fiction-Thriller nicht aus den USA kommen müssen und keine überwältigenden Spezialeffekte benötigen, um zu fesseln. Dieses Wien, das Hitz uns da vorsetzt, es wirkt so abstrus unmenschlich, dass es möglich erscheint. Und das ist vielleicht das Packendste an diesem Film: Er macht Angst, nicht aufgrund filmischer Tricks, sondern weil wir uns all das so gut vorstellen können. Ein fantastischer Coup.