Ab 30. November

"1983": Polnische Netflix-Serie bietet raffinierte Thriller-Unterhaltung

von Markus Schu

Wer "The Man in the High Castle" oder "Bodyguard" mag, macht auch mit "1983" nichts falsch: Polens Serienexport bietet hervorragende Thrillerunterhaltung wie aus dem Lehrbuch.

Lech Walesa? Solidarnosc? Das Ende des Kalten Kriegs? Alles nie passiert. Das zumindest ist die Prämisse der ersten polnischen Netflix-Serie "1983". Im titelgebenden Jahr haben verheerende Terroranschläge in ganz Polen dazu geführt, dass sich der Satellitenstaat nicht von der Sowjetunion lösen konnte. Der demokratische Befreiungskampf der Nation wurde nie vollzogen, der Eiserne Vorhang existiert nach wie vor. Denn der Angriff und die daraus resultierende Furcht vor weiterer Gewalt ebneten den Weg in den Totalitarismus: Die Bevölkerung fordert Sicherheit und opfert dafür ihre Freiheit. In der Gegenwartshandlung 20 Jahre später ist Polen eine Diktatur. Vermeintlicher Wohlstand und Frieden an der Oberfläche, Unterdrückung, Überwachung und Willkür darunter. Doch im Untergrund formt sich Widerstand gegen das Regime. Und ein ungleiches Duo kommt einer gigantischen Verschwörung auf die Schliche, die der Regierung das Genick brechen könnte ... Netflix hat alle acht Folgen der Politthrillerserie ab 30. November im Programm.

Als der desillusionierte Ermittler Anatol (Robert Wieckiewicz) im Jahr 2003 einen möglichen Selbstmord untersucht, stößt er auf einige Ungereimtheiten – warum erhält er keinen Zugriff auf die notwendigen Akten? Zur selben Zeit besteht der idealistische Jurastudent Kajetan (Maciej Musial) seine Abschlussprüfung. Sein väterlicher Mentor und Professor gibt ihm allerdings noch einige schwierige Fragen mit auf den Weg: Ist es nicht paradox, dass fehlbare Menschen ein vermeintlich unfehlbares System kreierten? Warum sorgt nicht die objektive Wahrheit für Gerechtigkeit, sondern die Partei und das Gesetz? Kurze Zeit später ist der subversiv denkende Professor tot – doch zuvor stellte er noch sicher, dass sich die Wege von Kajetan und Anatol kreuzen. Ihre gemeinsamen Nachforschungen in einem zurückliegenden Mordfall könnten die Machthabenden zu Fall bringen ...

Dunkel und bedrückend ist die Stimmung in der düsteren Serie. Imposante Sets und Drehorte lassen keinen Zweifel daran, dass sich die Figuren in einem Unterdrückungssystem befinden. Inspiriert von Kinofilmen wie "1984" oder "V wie Vendetta" und dem Amazonformat "The Man in the High Castle" entfaltet das polnische Prestigeprojekt ein atmosphärisch dichtes, alternativhistorisches Szenario mit hochspannendem Krimiplot. "Akzeptiere niemals die offensichtliche Antwort", mahnt der Polizist an einer Stelle gleich zu Beginn. Ein Leitfaden, der sich auch an das Publikum richtet. Denn die komplexe Handlung mit ihren ambivalenten Charakteren fordert ein hohes Maß an Konzentration. Belohnt wird man mit toll geschriebenen Dialogen und einem intelligenten Diskurs über Wahrheit, Macht und Politik. In Zeiten von Trump und Fake News ein Thema von brennender Aktualität.

Dass das östliche Nachbarland der Bundesrepublik seit jeher exzellente Filmemacher wie Roman Polanski, Andrzej Wajda, Pawel Pawlikowski oder Krzysztof Kieslowski hervorbringt, ist hinlänglich bekannt. Nur als TV-Nation hat sich Polen bislang noch nicht groß hervorgetan. Mit "1983" ändert sich das. Denn was Deutschland mit "Babylon Berlin" oder Großbritannien mit "Bodyguard" geschafft hat, gelingt nun auch dem weiblichen Regiequartett aus Kasia Adamik, Olga Chajdas, Agnieszka Holland und Agnieszka Smoczynska mit der ersten polnischen Netflix-Produktion: Sie bescheren dem Publikum einen raffinierten dystopischen Thriller auf höchstem handwerklichen Niveau.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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