In seinem 1891 am Hoftheater in München uraufgeführten Stück "Hedda Gabler" unternahm Henrik Ibsen einen Angriff auf das Bürgertum. Im Ibsen- und Freud-Jahr 2006 verbindet Thomas Ostermeiers Inszenierung die Ibsen-Variante einer vor Langeweile implodierenden Gesellschaftsschicht mit Freuds böser Vorahnung, es könnte sich um viel tragischeres handeln, als um die bloße Ablehnung bürgerlicher Konventionen. Mit dem Gesicht eines eiskalten Engels und blecherner Stimme zeichnet Katharina Schüttler die Titelheldin mit undurchdringlicher Kühle, einer schnippisch-ungerührten, fast autistischen Gleichmütigkeit, und zieht zugleich lässig die Strippen. Heddas Welt "verrutscht" dabei mehr und mehr, katapultiert sich aus der Achse des beschaulichen Heims in eine kaleidoskopisch zersplitterte Scheinwelt. Zuletzt kann Hedda ihr selbstgebautes Gefängnis nicht sprengen, ohne sich selbst zu zerstören: Wenn sie sich am Ende erschießt, ohne dass man in ihrem Umfeld Notiz davon nimmt, ist dies eine doppelte Detonation mit kräftigem Nachhall. Anknüpfend an seinen "Nora"-Erfolg markiert die Inszenierung von Thomas Ostermeier einen Höhepunkt zeitgenössischer Ibsen-Interpretation, 100 Jahre nach dessen Tod am 23. Mai 1906.