Die junge Thelma (Eili Harboe) versucht sich von ihrem strengen Elternhaus abzunabeln.
"Thelma" ist ein Mystery-Thriller vom norwegischen Regisseur Joachim Trier.

Thelma

KINOSTART: 22.03.2018 • Drama • N/F/S/DK (2017) • 116 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Thelma
Produktionsdatum
2017
Produktionsland
N/F/S/DK
Budget
5.741.614 USD
Einspielergebnis
81.182 USD
Laufzeit
116 Minuten

Filmkritik

Endlich frei sein
Von Christopher Diekhaus

Schon der Einstieg zieht den Zuschauer unweigerlich in den Bann. Lässt ihn rätseln über das, was kommen mag. Entfacht eine mysteriös-beklemmende Stimmung, die sich langsam, aber stetig verfestigt. Joachim Trier ("Louder Than Bombs") beginnt seine reizvolle Mischung aus Coming-of-Age-Geschichte und Mystery-Thriller mit einer grandios gefilmten Bilderabfolge inmitten der norwegischen Einsamkeit: Ein Mann (Henrik Rafaelsen) und ein kleines Mädchen (Grethe Eltervåg) stapfen über einen vereisten See und entdecken kurz darauf ein Reh. Als der Vater sein Gewehr erhebt und seine Tochter gespannt den Schuss erwartet, dreht er sich unbemerkt zu ihr um, richtet seine Waffe auf sie – und schafft es letztlich nicht, auch wirklich abzudrücken. Die ungeheuerliche Geste wirft Fragen auf und lässt Schlimmes erahnen. Was genau geschehen ist, verraten Trier und Koautor Eskil Vogt erst einige Zeit später.

Viele Jahre nach dem Ausflug in die Einöde nähert sich die von Jakob Ihre geführte Kamera dem mittlerweile erwachsen gewordenen Mädchen (nun gespielt von Eili Harboe) aus größerer Entfernung. Thelma – so ihr Name – steht auf einem belebten Platz in Oslo und wirkt zwischen all den hin- und herlaufenden Menschen regelrecht verloren.

Zum ersten Mal hat die junge Frau ihr streng religiöses Elternhaus verlassen, um in der Hauptstadt zu studieren. Während ihr Vater und ihre Mutter (Ellen Dorrit Petersen) den Schritt mit einiger Sorge sehen und ständig auf dem Laufenden gehalten werden wollen, hat Thelma Schwierigkeiten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Eines Tages erleidet sie in der Uni-Bibliothek eine Art epileptischen Anfall, der die Ärzte vor ein Rätsel stellt. Als sie die Bekanntschaft der Kommilitonin Anja (Kaya Wilkins) macht, blüht Thelma endlich etwas auf und entwickelt mehr und mehr romantische Gefühle für ihre neue Freundin.

Mitreißend-nuanciertes Spiel von Eili Harboes

Dank Eili Harboes mitreißend-nuancierter Darbietung geht man ohne Wenn und Aber mit der Titelheldin mit, die einen schweren inneren Kampf auszufechten hat. Hin- und hergerissen zwischen ihrem konservativen Aufwachsen und der Aussicht auf einen verlockenden Neuaufbruch versucht Thelma, ihre eigene Stimme zu finden, und spürt ihren tiefsten Sehnsüchten nach. Schuldgedanken drängen immer wieder an die Oberfläche und sorgen für größere Verwirrung.

Kombiniert wird der schmerzhafte Abnabelungsprozess mit übernatürlichen Elementen, wobei sich die unerklärlichen Anfälle als Hinweise auf eine tragische Familiengeschichte entpuppen. Die Tatsache, dass Thelma außergewöhnliche Kräfte zu besitzen scheint, lässt den Genrekenner unweigerlich an Stephen Kings Telekinese-Roman "Carrie" und dessen Leinwandadaptionen denken. Trotz dieser Anleihen entfaltet das in hypnotische Cinemascope-Bilder gekleidete Mystery-Drama jedoch eine erfreulich eigenständige Note. Grund dafür ist auch Triers geschickter Umgang mit den Motiven und Mechanismen des Horrorkinos, denen sich der Norweger nie in vollem Umfang beugen will. Oftmals reichen Andeutungen, etwas länger als gewöhnlich gehaltene Einstellungen oder beunruhigende Klänge aus, um ein durchdringendes Klima der Verunsicherung zu kreieren.

Die große Qualität des symbolisch aufgeladenen Films kommt nicht zuletzt in der Beschreibung der Elternfiguren zum Tragen. Obwohl die beiden ein mitunter erschreckend übergriffiges Verhalten an den Tag legen und ihrer Tochter die Ablösung unnötig erschweren, bringt das Drehbuch auch Verständnis für ihr Handeln auf. Eine Ambivalenz, die das furiose Finale umso spannender und aufwühlender macht.

Quelle: teleschau – der Mediendienst

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