Guida (Julia Stockler, links) und Eurídice (Carol Duarte) sehnen sich nach einem Leben in Freiheit.
Karim Aïnouz erzählt in seinem Film die Geschichte zweier Schwestern, die in jungen Jahren getrennt werden.

Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão

KINOSTART: 26.12.2019 • Drama • BRA (2019) • 140 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
A vida invisivel de euridice gusmao
Produktionsdatum
2019
Produktionsland
BRA
Filmstudio
RT Features, Pola Pandora Filmproduktions, Canal Brasil, Sony Pictures Entertainment Brazil, Naymar
Laufzeit
140 Minuten

Filmkritik

Das fremdbestimmte Leben
von Claudia Nitsche

Die feuchte Hitze Rio de Janeiros bildet den Hintergrund für ein Frauendrama im Brasilien der 50er-Jahre: "Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão" schlägt aber auch den Bogen in die Gegenwart.

Zwei junge Mädchen auf dem Nachhauseweg. Eurídice (Carol Duarte) und Guida (Julia Stockler) sind Geschwister, und es sind ihre beiden Leben, die das Melodram "Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão" mal hitzig, mal voller Gefühl im Rio de Janeiro der 50er-Jahre erzählt. Eurídice liebt das Klavier, schafft es sogar durch ihr Spiel, sich vor der Hausarbeit zu drücken. Guida hat erstmals die Liebe zum anderen Geschlecht entdeckt; mit einem Griechen war sie, so erzählt sie ihrer Schwester, auf der Toilette. Eurídice deckt Guida, die sich davonschleicht, um mit ihrem Matrosen auf eine Party zu gehen. Sie kehrt nicht wieder. Irgendwann erreicht die Familie ein Brief, dass sie ihren Yorgus in Athen heiraten wird.

Auch wenn Eurídices Herz bricht, geht das Leben – von außen betrachtet – weiter. Der Vater (António Fonseca), ein Bäcker, hat ihr einen Mann auserwählt, denn Mädchen müssen untergebracht werden. So erlebt auch sie ihre erste Liebesnacht, weit weniger leidenschaftlich. Es vergeht gar nicht allzu viel Zeit, da kehrt Guida nach Hause zurück. Der Grieche entpuppte sich als Lump. Schwanger ist sie dennoch. Progressiv und selbstbewusst erklärt sie ihrem Vater: "Ich habe einen Fehler gemacht." Doch zu wortreichen Versöhnungen ist der nicht bereit und jagt die Abtrünnige zum Teufel. Ihre Mutter Ana (Flávia Gusmão) schafft es nicht, sich zu wehren. Anas Körper antwortet mit Krankheit.

Jede in ihrem Unglück

Während Guida als Alleinerziehende weit unten in der sozialen Hierarchie kämpft, lebt ihre Schwester ein Leben als Ehefrau, das sie hasst, denn sie möchte Pianistin werden. Sie leben in der gleichen Stadt, gehen jedoch beide davon aus, dass die andere im Ausland ist. Einmal begegnen sie sich in einer schön inszenierten Szene um Haaresbreite nicht, als Guida das Essen in einem Restaurant verwehrt wird, während sich Eurídice dort mit dem Vater trifft. Solche emotionalen Situationen sind selten in diesem Film, was schade ist. Regisseur Karim Aïnouz schwelgt in Lichtern, verlangsamt die Geschwindigkeit und präsentiert tolle Bilder. Er hat zwei gute Schauspielerinnen auf seiner Seite, die bereit sind, die ganze Tragik zu präsentieren, und doch will der Funke nicht recht zünden. Vielleicht ist ein Grund dafür, dass der Zuschauer die beiden kaum kennenlernt und ihre Verbundenheit schlicht glauben soll.

Geradezu seltsam, dass Regisseur Aïnouz zu Beginn, als die beiden Schwestern sich auf dem Heimweg aus den Augen verlieren, Spannung kreiert, obwohl die Situation vollkommen banal ist – und auch nichts passiert. Später, wenn das Drama aus Missverständnissen und Unterdrückung seinen Lauf nimmt, ist die pulsierende Stadt das Lebendigste auf der Leinwand. Die Jahre schwinden, und aus dem Off hört man die Stimmen der Schwestern, die in ihren Briefen von ihrer Sehnsucht erzählen. Ob ihnen ein Wiedersehen vergönnt ist?

Die Romanverfilmung war Karim Aïnouz ein persönliches Anliegen. Er erzählt die Geschichte aufopfernd, ist ein Anwalt der Frauen. Auch, weil er findet, dass sich die Ignoranz der Männer in seinem Land nicht verringert habe. So schuf er ein episches Melodram, das nicht in der Vergangenheit verhaftet ist, sondern auch den Bogen ins Heute schlägt.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Weitere Darsteller
Carol Duarte Julia Stockler Fernanda Montenegro Gregório Duvivier Bárbara Santos Flávia Gusmão António Fonseca Maria Manoella Cristina Pereira Nikolas Antunes Cláudio Gabriel Flávio Bauraqui Gillray Coutinho Alexandre Paz Andressa Cabral Eduardo Tornaghi Fernando Ceylão Hugo Cruz Lumi Kin Luana Xavier Marcello Melo Maria Carolina Basílio Márcio Vito Natália Caruso Pablo Pêgas Rafael Raposo Izak Dahora Roberto Filho Samuel Toledo Shirley Cruz Sônia Cardoso Thales Miranda Nelson Ferreira Ismar Martins Carrique  Lidiane Oliveira Roberto Souza Esther Elizabeth Tamires Nascimento Remo Trajano Ana Isabel Cartaxo Bettina Druck Marina Manuela

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