"Für mich ist jede Musik wichtig. Deshalb arbeite ich auch in unterschiedlichen Bereichen. Meine Plattensammlung ist alphabethisch sortiert: Miles Davis steht neben Debussy und die Beatles neben Beethoven. Als Arrangeur bin ich eine Chamäleon. Deshalb kann ich auch so unterschiedliche Sachen machen wie Jazz, symphonische Musik, Filmmusik oder sogar mit den "Drei Tenören" arbeiten. Ich mag Abwechslung. Ich liebe es zu dirigieren, zu komponieren und Klavier zu spielen, weil die Tätigkeiten so verschieden sind. Es ist, als sei man mit drei Frauen gleichzeitig verheiratet, die man alle sehr liebt."
Schaut man sich die Werke von Lalo Schifrin an, denkt man automatisch an einen nervösen Workaholic, bei dem es kaum einen unmöglichen Auftrag geben kann: Klassik-Konzerte, in 35 Jahren über 160 Soundtracks für Film und Fernsehen (darunter brillante Scores wie "Bullitt", "Dirty Harry", "The Fox", "Mannix" - im Walzer-Tempo, "Petrocelli", der 5/4-Dauerbrenner "Mission: Impossible","THX 1138", "Das Osterman Weekend"), Jazz-Stücke und -Suiten für Big Band, die Verbindung von Jazz und symphonischer Musik (die Reihe "Jazz meets Symphony"), Arrangements für die "Drei Tenöre", mit "Aleph" ein eigenes Plattenlabel (www.alephrecords.com) usw., usw., usw.
Doch trifft man dann den Mann, der dies alles geschaffen hat, wundert man sich: ruhig - fast schon einschläfernd ruhig -, überaus ausgeglichen und rundum zufrieden wirkend, zieht er an seiner Pfeife, erzählt mit seinem sympathischen Akzent lange Anekdoten von Dizzy Gillespie, Miles Davis, Don Siegel oder Pavarotti.
In der Regel ist Filmmusik gut, wenn das Publikum hinterher sagt: "Die Musik? Ist mir gar nicht aufgefallen". Doch für Lalo Schifrin gilt dies auf keinen Fall. Denn seine Musik ist meist eine Verschmelzung peppiger Jazz-Themen mit symponischen Elementen und rasanter Action; sehr rhythmisch, mit Staccato-Bläsereinsätzen.
In Argentinien geboren, fand der Sohn des Konzertmeisters vom Teatro Colon früh zur Musik. Klavierspielen lernte er bei Enrique Barenboim, dem Vater des Dirigenten und Pianisten Daniel Barenboim, Kompositionsunterricht hatte er bei Juan Carlos Paz und seinem Vater Luis Schifrin. 1953 ging Schifrin nach Paris, um bei Oliver Messiaen Unterricht zu nehmen. Da Schifrin schon früh großes Interesse am Jazz zeigte, wundert es nicht, dass er in den Pariser Jahren auch häufiger Gast bei Jam-Sessions in den Clubs war. 1956 dann kam es zu der fast schon legendären Begegnung zwischen Schifrin und Jazz-Trompeter und BeBop-Vorreiter Dizzy Gillespie, der viele fruchtbare gemeinsame Jahre folgten. Gillespie überzeugte Schifrin davon in die USA auszuwandern und der Rest ist - wie man so schön sagt - Geschichte.
Lalo Schifrin im Interview
Wie kam es, dass sie Filmkomponist wurden?
Schifrin: "Zunächst muss ich sagen, dass ich schon mein ganzes Leben filmverrückt gewesen bin. Vielleicht ist es ein Zufall, dass ich in Berührung mit den zwei großen Kunstformen des 20. Jahrhunderts kam: Film und Jazz, beide gab es im Jahrhundert davor nicht. Außerdem haben mich beide Kunstformen schon immer fasziniert. Als Kind habe ich mir viele Filme angesehen. Dann habe ich immer mehr auf die Musik geachtet. Es gab Filme, die habe ich mir 15 mal angeschaut. Aber besonders gut fand ich Horrorfilme, meist sogenannte B-Filme. Die Musik darin war immer großartig. Und mir fiel schon früh auf das der gleiche Film, egal ob "Frankenstein" oder "Dracula", ohne Musik kaum Angst einflößend wäre. Ich hatte schon als Fünfjähriger verstanden, was es mit Musik im Film auf sich hatte. Bevor ich nach Frankreich ging, hatte ich in Argentinien einen Freund, der Filme machte. Als er einen Kurzfilm drehte, bat er mich, die Musik dazu zu schreiben und das war meine erste Erfahrung in Sachen Film. Tatsächlich hatte ich ein Streich-Quartett, eine Harfe und Gato Barbieri als Saxofonisten und fertig war der Score. Dann ging ich nach Italien und Frankreich und nachdem mich Dizzy Gillespie bat, in die USA zu kommen, hat der Papierkram mit den Konsulaten zwecks Einwanderung sehr lange gedauert - über ein Jahr Bürokratie. Man musste ständig zu Ärzten, seine Gesundheit überprüfen lassen, viele Papiere aus Argentinien besorgen, das FBI hat mich überprüft, ob ich auch kein subversives Element sei usw. Es dauert einfach lange. In der Zeit habe ich noch einen Soundtrack für einen argentinischen Film gemacht. öbrigens habe ich mit dem Produzenten Hector Olivera noch einmal bei dem Carlos Saura-Film "Tango" zusammengearbeitet. Das war eine wichtige Erfahrung, die ich dann in Hollywood sehr gut gebrauchen konnte. Ich habe damals mit Dizzy Gillespie gearbeitet und war auf einmal im Jazz-Bereich sehr gefragt. Ich habe viel für MGM, die damals auch Musik produzierten, gearbeitet. So war es irgenwann logisch, dass ich auch für Filme komponierte."
Warum gibt es viele ihrer Soundtracks nicht auf CD? "Dirty Harry" z.B. haben sie selbst herausgebracht, aber die brillanten Soundtracks von Filmen wie "Coogans großer Bluff" oder "Betrogen" sind nicht erhältlich.
Schifrin: "Das Problem ist, dass die Rechte der Musik auch bei den Filmfirmen liegen. Wenn man nun einen Soundtrack veröffentlichen will, muss man dafür viel bezahlen und oft haben die Firmen auch kein Interesse, die Musik frei zu geben, weil damit auch noch steuerliche Verpflichtungen erfüllt werden müssen. So wird das oft sehr, sehr teuer, ein Album herauszugeben. Die Musik von "Betrogen" ist schon sehr speziell und die Filmfirma wollte kein Geld für Werbung und Vermarktung des Sountracks ausgeben. Das ist oft das Problem, wenn man mit Orchester arbeiten. Das gleiche gilt für "Coogans großer Bluff". Das war den Firmen einfach zu teuer, um noch mehr dafür auszugeben. Außerdem beschloss einer neuer Chef bei MGM eines Tages, die Musik-Bibliothek einfach aufzulösen, weil der Platz für was anderes gebraucht wurde. So wurden Originalaufnahmen von Miklos Rosza und all den anderen einfach vernichtet. Zum Glück hat mich der damalige Bibliotheksleiter gefragt, ob ich einige meiner Scores haben möchte. Das ist auch der Grund, warum ich mit "Aleph" mein eigenes Label gegründet habe - meine Frau führt übrigens die Geschäfte - und allmählich meine Arbeiten darauf veröffentliche. Auch eine meiner jüngeren Film-Arbeiten zu der erfolgreichen Action-Komödie "Rush Hour" ist auf dem Label erschienen. Ich habe dabei natürlich nur mit der Action zu tun gehabt, von der Komödie halte ich mich fern. "Aleph" bildet das perfekte Forum für meine Arbeiten. Denn hier werden nicht nur die Filmmusiken, sondern auch meine anderen Sachen wie "Jazz meets Symphony", die Arbeiten mit der WDR-Big-Band oder "Jazz Mass" veröffentlicht. Viele Leute hatten immer Schwierigkeiten, mich einzuordnen, weil ich so viele unterschiedliche Dinge mache."
Sie haben ja auch ein Konzert für Flöte komponiert und eingespielt...
Schifrin: "Ja, das ist richtig. Das ist von einem französischen Label herausgebracht worden. Auf dem gleichen Album ist auch das Konzert für Gitarre mit dem London Symphony Orchestra und ein Stück, das "Tropicos" heißt."
Obwohl viele ihrer Songs auch Hits waren - wie etwa "The Cat" in der Version des Organisten Jimmy Smith - haben sie immer wieder versucht, Jazz und symphonische Musik zu verbinden.
Schifrin: "Ja, das stimmt. Ich mag einfach vieles und einige Leuten behaupten immer, dass man unterschiedliche Stilrichtungen nicht verknüpfen sollte. Ich finde, mir ist einigermaßen gelungen. Das kommt vielleicht daher, dass ich bei Oliver Messiaen studiert habe und gerne dessen manchmal seltsam klingende Skalen verwende. Er hat sie nicht erfunden - aber sie waren einfach unüblich. Dann habe ich seine Ideen in die Kammermusik übertragen. Er hat weder eine Oktav- noch eine 12-Ton-Skala benutzt. Bei ihm bestand eine Skala beispielsweise aus 10 Tönen. So konnte man Harmonien benutzen, die ganz anders klangen und sich irgendwie in der "Twilight Zone" von Tonalität und Atonalität bewegen. Ich habe soetwas z.B. nicht im Titelstück, aber bei einem Hauptthema in "Mission: Impossible" verwendet."
Zu dem Kinofilm "Mission: Impossible" haben sie aber nur das Hauptthema beigesteuert.
Schifrin: "Ja. Sie haben mich gefragt, aber ich habe damals in Marseille an den Feierlichkeiten zu "100 Jahre Kino" gearbeitet. Das war eine Auftragsarbeit vom französischen Fernsehen. Ich war zum ersten mal der Produzent einer Live-Show. Das war sehr kompliziert. Ich musste auch dirigieren. Julia Migenes und Dee Dee Bridgewater waren die Sängerinnen. Ich habe viele populäre Filmmusiken - und Songs umarrangiert. Die Show dauerte drei Stunden. Davon gibt es auch eine CD (unter dem Titel "FilmClassics" bei Aleph, d.A.). So konnte ich aber nicht zur gleichen Zeit in Hollywood sein. Das war sozusagen eine "Mission: Impossible". Man kann nun mal nicht an zwei Plätzen gleichzeitig sein."
Interview: Stephan Mertens