Mit "Der Gesang der Flusskrebse" wurde eines der erfolgreichsten Bücher der vergangenen Jahre verfilmt. Aber kann der Mystery-Thriller mit seinem vorauseilenden Ruf mithalten?
An dem Erfolgsroman "Der Gesang der Flusskrebse" von Delia Owens kam in den vergangenen Jahren kein Literaturfan vorbei. Seit 2019 ist der Mystery-Bestseller nahezu pausenlos auf den Toprängen der Bestsellerlisten Deutschlands zu finden. In den USA war es das erfolgreichste Buch des Jahres 2019, in Deutschland das zweiterfolgreichste 2020. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Geschichte des "Marschmädchens" Kya verfilmt und in die Kinos gebracht wird.
Der Film startet mit dem mysteriösen Tod des beliebten Quarterbacks Chase Andrews im Jahr 1965. Er wird leblos unter einem Feuerwachturm im Sumpf von Barkley Cove gefunden, eine fiktive Stadt im US-Bundesstaat North Carolina. War es Mord oder ein Unfall? Es gibt keine Indizien für ein Fremdverschulden. Doch das Dorf sowie die ermittelnden Polizisten haben schnell eine Schuldige gefunden: Kya, von allen abfällig das "Marschmädchen" genannt. Vor Gericht muss sie sich behaupten. Ist sie unschuldig? Was hatte es mit ihrer Beziehung zu Andrews auf sich?
In Zeitsprüngen zwischen den Ermittlungen der Gegenwart und Kyas Heranwachsen lernen Kinobesucher die Beschuldigte kennen. Nachdem erst die Mutter und dann alle Geschwister den gewalttätigen Vater verlassen haben, lebt die Jüngste der Familie mit ihm im Sumpfgebiet. Als auch er eines Tages nicht zurückkehrt, ist das Mädchen auf sich gestellt. Sie wird alleingelassen im Sumpf groß und lebt dort im Einklang mit der Natur.
Ihre einzigen Kontakte sind der Ladenbesitzer Jumpin' und seine Ehefrau sowie der ein paar Jahre ältere Tate Walker. Ihn lernt sie im Sumpf kennen, wo sich der naturbegeisterte Junge mit seinem Boot aufhält. Er bringt der wissbegierigen Kya das Lesen bei. Aus der Freundschaft entwickelt sich über die Jahre eine Liebesbeziehung. Aber auch Chase Andrews wird auf die rätselhafte Schöne aufmerksam. Wurde ihm seine Begeisterung für Kya zum Verhängnis? Oder versucht man ihr einen Mord anzuhängen, den es nie gegeben hat?
Produziert wurde der Film von Reese Witherspoon und der von ihr gegründeten Produktionsfirma Hello Sunshine. Mit dieser hat sich die Schauspielerin in den vergangenen Jahren einen Namen mit erfolgreichen Buchverfilmungen gemacht. Neben "Gone Girl" und "Big Little Lies" ist die Firma auch für die anstehenden Verfilmungen der Bestseller "Daisy Jones and The Six" sowie "Ich, Eleanor Oliphant" verantwortlich. Wenig überraschend also, dass sich Witherspoon mit "Der Gesang der Flusskrebse" an einen weiteren Mega-Bestseller herangetraut hat.
Trotz des großen Hollywood-Stars hinter dem Projekt, setzt der Film sonst auf vielversprechende, aber eher unbekannte Namen. Die Adaption des Bestsellers erfolgte durch Drehbuchautorin Lucy Alibar. Regisseurin Olivia Newman feierte 2018 ihr Debüt mit dem Netflix-Film "First Match". Auch der Cast ist von Newcomern geprägt: Hauptdarstellerin Daisy Edgar-Jones hatte 2020 mit dem Erfolg der Serie "Normal People" ihren Durchbruch und ergatterte mit Kya ihre erste große Kinorolle. Auch Tate-Darsteller Taylor John Smith ("Sharp Objects") sowie Harris Dickinson ("The King's Man"), der im Film Chase Andrews verkörpert, stehen noch am Beginn ihrer Karrieren.
Der Film startet düster und verspricht den Zuschauerinnen und Zuschauern den Beginn eines klassischen "Whodunit"-Krimis. Wer trägt Schuld an Chase Andrews Tod? Doch mit der bedrückenden Stimmung bricht der Film mehrfach und überrascht diese anfänglichen Erwartungen. Die imposanten, teils fast kitschigen Naturaufnahmen aus dem Great Dismal Swamp etwa bilden einen krassen Kontrast zu brutalen Themen wie Tod, Alkoholsucht oder Missbrauch. Auch Szenen wie der erste Kuss zwischen Kya und Dorfjunge Tate bleiben hängen. Der Moment im Blätterregen lässt einen kurz vergessen, dass es sich bei "Der Gesang der Flusskrebse" um einen Mystery-Thriller und keinen romantischen Liebesfilm handelt.
Zeitgleich verwandelt sich das alleingelassene Mädchen Kya im Laufe des Films in eine emanzipierte junge Frau. Sie kann sich fehlerfrei ausdrücken, ist perfekt gekleidet und zieht sogar einen Buchdeal an Land. In dem romantisierten Setting wirkt dieses ungewöhnliche Coming-of-Age allerdings klischeehaft und unglaubwürdig statt inspirierend. Es erscheint nicht schlüssig, dass ein ganzes Dorf an einen vermeintlichen Mord durch ihre Hand glaubt. Diese logische Lücke wird auch nicht durch die vielen Flashback-Szenen aufgeklärt. So vermag es der Film nicht, den Zuschauer vollständig auf seine Reise mitzunehmen.
Beeindruckend ist hingegen neben den wunderschönen Naturaufnahmen die schauspielerische Leistung von Hauptdarstellerin Daisy Edgar-Jones. Sie verleiht dem sonst oft dahin dümpelnden Film Frische und Tiefe. Doch den seichten Plot kann auch sie nicht retten.
Zwar überrascht der Film - zumindest Zuschauer, die das Buch nicht gelesen haben - mit einem dramatischen Twist am Ende. Doch auch diesem wird im Vergleich zum Bestseller seine Wucht genommen. So viel sei verraten: Was ganz genau in der Nacht von Chase Andrews Tod passiert ist - diese Antworten bleibt der Film bis zum Ende schuldig. Stattdessen versucht er eine Parabel für weibliche Befreiung und Unabhängigkeit in einer männerdominierten Welt darzustellen. Doch verlieren diese Aussagen durch inhaltliche Lücken und überzogene Klischees ihre Glaubwürdigkeit.
Quelle: Spot on news (jru/spot)