Das deutsche Kino ist anspruchslos, setzt in erster Linie auf seichte Komödien und spielt international längst keine Rolle mehr. Immer wieder sehen sich Filmemacher hierzulande mit eben diesen Vorwürfe konfrontiert. Völlig aus der Luft gegriffen sind sie sicherlich nicht. Einfach alles zu verteufeln, ist aber wenig zielführend. Bei genauem Hinschauen gibt es durchaus positive Bespiele – Leinwandarbeiten wie "In die Sonne schauen" beweisen, dass auch in Deutschland kraftvolle, mutige, kompromisslose Werke entstehen können.
Nach ihrem intimen Debüt "Die Tochter" (2017), das eine Dreiecksbeziehung zwischen zwei getrennt lebenden Elternteilen und der gemeinsamen Tochter schildert, wagt sich Mascha Schilinski mit "In die Sonne schauen" an ein wahrlich episches Unterfangen. Vier unterschiedliche Leben und vier unterschiedliche Epochen bilden die Grundlagen ihres Dramas, in dem es nicht zuletzt um weibliche Traumata, weiblichen Schmerz und dunkle Kapitel in der deutschen Geschichte geht.
Handlungsort ist ein Vierseithof im Norden Sachsen-Anhalts, auf dem über die Jahrzehnte mehrere Mädchen und junge Frauen aufwachsen. Anstelle einer chronologischen Handlung präsentiert die auch als Koautorin involvierte Regisseurin ein filmisches Mosaik, das zwischen den Zeiten hin- und herspringt. Was die verschiedenen Ebenen miteinander verbindet: Den Protagonistinnen offenbaren sich irgendwann auf teils unheimliche Weise die Spuren der Vergangenheit auf dem einsam gelegenen Anwesen.
In den 1910er-Jahren bringt die kleine Alma (Hanna Heckt) in Erfahrung, dass sie nach ihrer verstorbenen Schwester benannt wurde. Fortan glaubt sie, ebenfalls dem Tod geweiht zu sein. Rund 30 Jahre später entwickelt die Jugendliche Erika (Lea Drinda) eine morbide Faszination für ihren Onkel, der im Zweiten Weltkrieg ein Bein verloren hat. Angelika (Lena Urzendowsky) wiederum wird in der DDR der 1980er-Jahre groß und wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Todessehnsucht und Lebensgier. In den 2020er-Jahren schließlich verbringt Nelly (Zoë Baier) mit ihre Familie die Zeit auf dem inzwischen stark heruntergekommenen Hof. Das Mädchen wirkt geborgen. Doch intensive Träume und die Last früherer Geschehnisse machen Nelly zu schaffen. Als sich ein tragisches Ereignis an dem Ort wiederholt, verschwimmen die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart noch mehr.