Alexandre (Melvil Poupaud) wendet sich nach 30 Jahren an die Kirche, in deren Obhut er einst missbraucht wurde: Die Kirchenpsychologin Régine Maire (Martine Erhel) rät ihm, alte Wunden nicht aufzukratzen.
François Ozon erzählt in "Gelobt sei Gott" konsequent aus Sicht der Opfer von einem realen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche Frankreichs - und bleibt dabei so nüchtern im Ton, dass sich einem der Magen umdreht.

Gelobt sei Gott

KINOSTART: 26.09.2019 • Drama • F/B (2019) • 138 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Grace a Dieu
Produktionsdatum
2019
Produktionsland
F/B
Laufzeit
138 Minuten

Filmkritik

Das Schweigen der Scheinheiligen
Von Andreas Fischer

Mit "Gelobt sei Gott" arbeitet François Ozon einen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche Frankreichs auf. Ein Film mit aktueller Sprengkraft und unerträglich sachlich in der Schilderung eines pervertierten Systems.

Unbehaglicher kann eine Begegnung zwischen zwei Männern nicht sein, als die, die François Ozon recht früh in seinem neuen Film "Gelobt sei Gott" inszeniert. Es treffen sich in einem lichtarmen Raum einer Kirche Alexandre (Melvil Poupaud), ein erwachsener Mann, der vor 30 Jahren mehrfach missbraucht wurde, und sein Peiniger. Priester Preynat (Bernard Verley) gibt sein Vergehen unumwunden zu, er macht das mit einem Ausmaß an Selbstmitleid, das die Rollen von Opfer und Täter umzukehren scheint. Am Ende des Treffens muss Alexandre dankbar sein, mit dem Mann, der seine Kindheit zerstört hat, ein Vaterunser beten zu dürfen. Denn das ist alles, was ihm der Priester anbietet. Statt aufrichtiger Reue ob der eigenen Sünde flüchtet er sich in hohle Floskeln und zeigt damit ganz deutlich, wie ernst es der Kirche wirklich ist, den systematischen Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Priester aufzuarbeiten.

François Ozon setzt sich in "Gelobt sei Gott", auf der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, mit einem aktuellen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Frankreich auseinander und arbeitet ihn konsequent aus Sicht der Opfer auf. In den 1980er-Jahren soll der pädophile Priester Bernard Preynat im Erzbistum Lyon Dutzende minderjährige Pfadfinder missbraucht haben und von seinen Vorgesetzten, darunter Erzbischof Philippe Barbarin (François Marthouret), gedeckt worden sein. Während Barbarin im März wegen Vertuschung verurteilt wurde, steht der Prozess gegen Preynat noch aus.

Dass die Verbrechen Preynats trotz des Schweigekartells der Kirche bekannt wurden, dafür ist Alexandre Guérin verantwortlich. Der erfolgreiche Geschäftsmann und Vater von fünf Kindern sieht 2014, dass der Priester, der ihn einst sexuell missbrauchte, immer noch im Kirchendienst ist und weiterhin mit Kindern arbeitet. Um seinen eigenen Kindern zu ersparen, was er einst durchmachte, und um endlich Gerechtigkeit zu erfahren, wendet er sich an den Erzbischof von Lyon. Barbarin zeigt sich aufgeschlossen und einfühlsam, er ist es, der Preynat zu dem Treffen mit Alexandre beordert. Doch schnell wird klar, dass die Kirche ein heuchlerisches System ist, das sich nur allzu gerne selbst vergibt.

Film beruht auf realen Ereignissen

Alexandre, immer noch gläubiger Katholik, braucht ziemlich lange, um das zu begreifen. Erst nach der Begegnung mit Preynat wendet sich an die weltliche Justiz. Im Zuge der Ermittlungen der Polizei melden sich immer mehr Opfer: Ozon bleibt bei ihnen, wechselt aber zweimal die Perspektive. Im Mittelteil widmet er sich dem impulsiven François (Denis Ménochet), der all seine Energie in den Opferverein "La Parole Libérée" steckt, und zum Schluss kümmert er sich um Emmanuel (Swann Arlaud), der am offensichtlichsten (auch körperlich) unter den einstigen Qualen leidet.

Pragmatisch und konzentriert, nimmt sich Ozon die realen Ereignisse vor, etwa den Briefwechsel zwischen Alexandre und dem Erzbischof, und spinnt sie zu einem Drama, das in seiner Ruhe und Dichte beeindruckt. Vor allem in ersten Teil seines Triptychons ist das ausgesprochen elegant, weil der französische Filmemacher Bilder und Worte entkoppelt und dadurch ihre Wirkung verstärkt.

Während man Alexandre und seine Familie in der Betriebsamkeit des Alltags beobachtet, lesen Stimmen aus dem Off im dauerhaften Voice-Over ausgesprochen höflich formulierte E-Mails vor, die sich Alexandre und Erzbischof Barbarin schicken: seitens der Kirche unverfroren konziliant im Ton und schrecklich im Inhalt. Man solle nicht an alten Wunden kratzen, dann tun sie nicht mehr weh, bekommt Alexandre irgendwann von einer Kirchenpsychologin zu hören.

Die Verharmlosung der Verbrechen durch die katholische Kirche ist umso unerträglicher, als dass Ozon stets betont sachlich bleibt. Er muss nicht dramatisieren, um zu zeigen, was die Opfer durchgemacht haben und wie der sexuelle Missbrauch durch Preynat ihr Leben bis heute prägt. Das macht "Gelobt sei Gott" zu einem aufrüttelnden Statement wider ein System, das es Pädophilen ermöglicht, jahrelang ungestraft Verbrechen zu begehen. Ein perverses System, in dem Erzbischof Barbarin bei einer Pressekonferenz 2016 sagte, dass die meisten Taten "gelobt sei Gott" bereits verjährt seien. Zum Glück aber können sie jetzt nicht mehr totgeschwiegen werden.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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