Isabelle (Julie Delpy, links) ist völlig vernarrt in ihre Tochter Zoe (Sophia Ally).
Julie Delpys eigenwilliges Drama "My Zoe" wirft provokante Fragen auf.

My Zoe

KINOSTART: 14.11.2019 • Drama • D/F/GB (2019) • 102 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
My Zoe
Produktionsdatum
2019
Produktionsland
D/F/GB
Laufzeit
102 Minuten
Regie

Filmkritik

Frankensteins Tochter
Von Gabriele Summen

In "My Zoe" stellt Regisseurin und Hauptdarstellerin Julie Delpy eine brisante Frage: Wie weit würden Eltern nach dem Tod ihres Kindes gehen, wenn es möglich wäre, einen Menschen zu klonen?

"Ich dachte, wir helfen uns dabei, sie loszulassen" sagt Isabelles verhasster Ex-Mann zu seiner Frau am Sterbebett der gemeinsamen Tochter. "Ich werde sie nie loslassen", antwortet die ihres Lebenssinns beraubte Mutter und kühle Genforscherin. Nach dieser Eröffnungsszene – die das Ende des Dramas leider recht auffällig vorwegnimmt – lernt man zunächst die frisch geschiedene, in Berlin lebende Franko-Amerikanerin Isabelle (Julie Delpy) und ihren britischen Ex-Mann James (Richard Armitage) kennen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter namens Zoe (Sophia Ally), die zwischen den beiden nach Absprache hin- und herpendelt, bis die Sorgerechtsfrage endgültig geklärt ist.

Erschreckend unfähig, noch normal miteinander zu kommunizieren, feilschen beide um jede Stunde mit ihrer geliebten Tochter und nutzen jede Gelegenheit, um dem anderen gegenüber sein tiefes Misstrauen auszudrücken. James, der zudem über die Trennung noch nicht hinweggekommen und eifersüchtig ist, weil Isabelle einen neuen Freund hat, strebt sogar zwanghaft danach, Isabelle immer wieder zutiefst zu verletzen. Selten hat man im Kino eine komplexere und deprimierendere Charakterstudie eines frisch getrennten Paares gesehen. Die fehlende Filmmusik unterstreicht dies noch.

Eines Morgens, nachdem Zoe bei Isabelle übernachtet hat, wacht sie nicht mehr auf. Hirnblutung, wahrscheinlich sogar irreparable Schäden, stellt man in der Klinik fest. Die Diagnose verschlechtert sich von Tag zu Tag, ein Schicksalsschlag, der dem Film eine völlig neue Richtung gibt, der man als Zuschauer zu folgen bereit sein muss. Dezente technische Gadgets einer nahen Zukunft – wie ein zerknüllbares Notepad – mehren sich, um den Zuschauer auf das Kommende vorzubereiten: In Moskau trifft sich Isabelle schon bald in einer gruseligen Praxis, in der schwangere Frauen – zum Teil weit jenseits der Menopause – im Wartezimmer sitzen, mit einem modernen Dr. Frankenstein (Daniel Brühl). Moralische, leider zum Teil auch mit dem erhobenen Zeigefinger geführte Debatten und fragwürdige Experimente lösen nun die zutiefst verfahrenen Beziehungsgespräche ab.

"My Zoe" ist Julie Delpys siebter Spielfilm, und wie so oft übernahm sie Regie, Drehbuch und Produktion und spielte auch die Hauptrolle. Die Idee zu ihrem Film sei ihr bereits in den 90er-Jahren gekommen, als sie in Krzysztof Kieslowskis "Drei Farben: Weiß" mitspielte, jenem Film, in dem der Pole geschickt Fragen zum menschlichen Schicksal stellte. Vor sechs Jahren dann verfasste Delpy, die mittlerweile ein Kind bekommen hatte und die schrecklichen Verlustängste von Eltern nun noch besser nachvollziehen konnte, schließlich die Geschichte um eine verzweifelte Mutter, die aus Liebe zu ihrem Kind ethische Grenzen überschreitet. 2016 wollte Delpy ihr Projekt endlich realisieren, hatte Schauspieler besetzt und stand kurz vor Beginn der Dreharbeiten. Doch die Produktionsfirma zog unerwartet ihre Geldmittel zurück.

"Die ganze Welt ist zusammengebrochen", erzählte sie kürzlich im Interview mit "IndieWire". Die Entscheidung der Produzenten sei sexistisch, weil man ihr als Frau einen solchen Film nicht zugetraut habe. Glücklicherweise hatte Delpys Schauspielkollege Daniel Brühl, mit dem sie seit ihrer Zusammenarbeit an ihrer dialogstarken Beziehungskomödie "Zwei Tage Paris" befreundet ist, keinerlei Bedenken. Er half ihr mit seiner jungen Produktionsfirma, neue Geldgeber zu finden. Zudem übernahm Brühl die Rolle des deutschen Genetikspezialisten, der im zweiten Drittel des Films in Russland seinen dubiosen Geschäften nachgeht.

Bedauerlicherweise verliert man im dritten, bewusst kühl und distanziert erzählten Akt einen großen Teil der Empathie, die man Isabelle bislang entgegengebracht hatte. Das ist von Ausnahmeregisseurin Delpy, die für ihren Film kein Melodram im Sinn hatte, sicher beabsichtigt, führt aber von ihrem Ziel, eine ethische Debatte anzustoßen, eher fort. Dennoch ist die unheimliche Intensität, mit der Delpy die starke, moderne Frauenfigur verkörpert, und die Leidenschaft, mit der sie in einer immer noch von Männern dominierten Filmwelt ihr eigenwilliges Herzensprojekt durchgeboxt hat, in jedem Bild spürbar. Und das ist den Kinogang allemal wert.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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