Steven Gätjen im Interview

"Was am roten Teppich passiert, ist nur schwer kontrollierbar"

von Anke Waschneck

Am Sonntag, 24. Februar, wird Moderator Steven Gätjen bei der Oscar-Verleihung wieder auf eine Menge Hollywood-Stars treffen. Einige davon kennt er persönlich.

Als Steven Gätjen zum Interviewtermin anruft, steht er noch am Flughafen. Er sei gerade erst in München gelandet, entschuldigt sich der Hamburger, er rufe gleich noch einmal aus dem Auto an. Lange wird sein Aufenthalt in der bayerischen Landeshauptstadt nicht dauern, er ist nur für ein Event angereist. Und eine Verschnaufpause ist kaum in Sicht, der 46-Jährige ist ständig auf Achse, bald geht es auch wieder nach Los Angeles. Auf die vielen Termine angesprochen, lacht Gätjen nur und erklärt, seine "ganz verrückten Zeiten, in denen ich für einen Tag nach Neuseeland geflogen bin oder ähnliche Aktionen, die sind vorbei". Der Trubel ist dem Medienprofi im Gespräch auch nicht anzumerken, ganz im Gegenteil: Der sympathische Moderator ist bestens gelaunt und erzählt von seinen Erfahrungen bei den Oscars. Der in Amerika geborene Hamburger wird am Sonntag, 24. Februar, für ProSieben (ab 2.00 Uhr) einmal mehr am roten Teppich in Los Angeles stehen und die Stars interviewen. Im Gespräch macht Gätjen klar, was er von der #Metoo-Debatte hält und welche Chancen er dem deutschen Film "Werk ohne Autor" einräumt. Außerdem verrät der Moderator, welche Stars ihn in Hollywood schon kennen, und wen er gerne noch treffen würde.

prisma: Nachdem Kevin Hart die Oscars nicht moderieren wird, wer denken Sie, führt durch den Abend?

Steven Gätjen: Ich gehe davon aus, dass eine ganze Starriege durch den Abend führen wird. Nach der Entscheidung bezüglich Kevin Hart traut sich mit Sicherheit niemand alleine auf die Bühne. Aber die Academy weiß, dass sie jetzt aus vollen Rohren feuern muss. Oder es steht auf einmal "The Rock" zusammen mit Tom Cruise auf der Bühne, und die schmeißen das Ding (lacht). Dwayne Johnson ist momentan einer der populärsten Superstars, der wird auf jeden Fall etwas machen.

prisma: Sie sind seit Jahren bei den Oscars dabei, stellt sich irgendwann eine Routine ein?

Gätjen: Nein, nicht wirklich, aber Routine hat auch ein zu negativ belastetes Image. Es bedeutet doch eigentlich nur, dass man sein Handwerk beherrscht und darauf in bestimmten Situationen zurückgreifen kann. Ich bin froh, dass ich ungefähr weiß, was bei den Oscars passiert. Das bewahrt mich trotzdem nicht davor, Lampenfieber zu haben. Es fühlt sich an wie eine kindliche Aufregung, wenn der Weihnachtsmann kommt. Man kann nicht vorhersagen, wie die Stars drauf sind, wer letztendlich wirklich zum Interview stehen bleibt oder wie viel Zeit man jeweils hat.

prisma: Sie müssen am roten Teppich spontan sein ...

Gätjen: Was am roten Teppich passiert, ist nur schwer planbar oder kontrollierbar. Ich bin seit etwa 16 Jahren bei den Oscars dabei, mal hatten wir alle Superstars, und ein anderes Mal war Flaute. Ich bereite mich insofern gut vor, dass ich mir alle nominierten Filme anschaue. Außerdem sind wir während der Show per Telefon mit der Redaktion in München verbunden. Zuvor bereiten wir schon Fragen zu jedem Gast vor.

prisma: Worauf achten Sie dabei?

Gätjen: Man muss aus der Masse hervorstechen. Es sollte keine durchschnittliche, langweilige oder offensichtliche Frage sein. Außerdem versuchen wir, eine Frage zu stellen, die dem Gegenüber zeigt, dass wir uns mit der Materie auskennen, und die die Person gleichzeitig herausfordert. Man möchte den Star dazu motivieren, länger stehenzubleiben. Und manchmal ergeben sich dann auch irre Situationen. Ich erinnere mich gerne daran, wie wir Heidi Klum am Mikrofon hatten, dann kam Seal dazu und schließlich noch Matthew Broderick und Sarah Jessica Parker. Ich konnte einfach zuhören (lacht).

prisma: Gab es schon mal einen unangenehmen Moment am roten Teppich?

Gätjen: Ja, mehrfach. Manchmal sieht die Filmfigur so krass anders aus, als der Schauspieler in echt. Ich hatte zum Beispiel vor einiger Zeit Armie Hammer vor mir stehen. Er hatte gerade in "The Social Network" Zwillinge gespielt, später dann in "Call Me By Your Name". Letztes Jahr habe ich ihm ein Jo-Jo mitgebracht, weil ich weiß, dass er gerne Jo-Jo spielt. Entweder er fand das gar nicht cool, oder er konnte so schnell einfach nicht darauf reagieren. Es ist immer ein Risiko dabei, aber das macht auch Spaß.

prisma: Herrscht mit den internationalen Kollegen am roten Teppich ein Ellbogenkampf oder begegnet man sich freundschaftlich?

Gätjen: Ich stand lange Zeit neben Sky und Entertainment Tonight. Der Platz ist beschränkt, und ich habe immer versucht, mich im Voraus mit ihnen kurzzuschließen, sodass man sich die Stars dann auch zugeschoben hat. Zu dritt hatte man mehr Power als solo. Trotzdem herrscht da ein Gerangel. Wenn sich die Kameramänner erst mal breitmachen, muss man aufpassen, dass einem nicht der Platz geklaut wird.

prisma: Erkennen die Stars Sie denn schon?

Gätjen: Ja. Ich kenne auch die Presseagenten und Managements einiger, das macht es leichter. Angelina Jolie, Brad Pitt, Will Smith, Liam NeesonTom Cruise oder Bradley Cooper bin ich zum Beispiel schon oft begegnet. Es kommt aber auch immer darauf an, ob es kurz zuvor noch ein großes Event gab, wo man sich wieder ins Gedächtnis rufen konnte.

prisma: Wer fehlt Ihnen noch?

Gätjen: Ich habe kürzlich ein riesiges Idol von mir interviewen dürfen: James Cameron. Noch ein Name, den ich von meiner Bucket List streichen konnte. Bei Al Pacino ist die Chance sehr gering, dass er über den roten Teppich läuft, aber ich würde ihn sehr gerne kennenlernen. Ansonsten hoffe ich dieses Jahr auf Lady Gaga, weil ich den Hype um "A Star is Born" sehr spannend finde. Ich habe sie bereits vor zwei oder drei Jahren am Mikrofon gehabt, und es war ein sehr spannendes Gespräch.

prisma: Kennen Sie Florian Henckel von Donnersmarck schon persönlich?

Gätjen: Ja, schon damals, als er den Oscar für "Das Leben der Anderen" bekommen hat, unterhielten wir uns sehr lange. Ich habe "Werk ohne Autor" beim Filmfest in Zürich gesehen. Es ist ein toller Film, aber ich denke, die Chance, dass Florian dafür einen zweiten Oscar mit heimnehmen darf, ist leider sehr gering. Die Kategorie "Bester fremdsprachiger Film" ist eine der stärksten dieses Jahr. Aber ich kenne und schätze Florian Henckel von Donnersmarck, und ich hoffe, dass auch Sebastian Koch und Tom Schilling dabei sind.

prisma: Gerhard Richter hat sich über "Werk ohne Autor" beklagt, seine Biografie sei missbraucht worden ...

Gätjen: Ich habe darüber länger mit Florian gesprochen. Gerhard Richter ist ein Künstler der Provokation, das darf man nicht vergessen. Für ihn war es wichtig, sich im Nachhinein davon zu distanzieren. Vielleicht ist das Teil seines Marketings oder seines Wesens. Ganz unglücklich dürfte er über die Publicity, die der Film und somit auch er durch die Oscar-Nominierung bekommt, auch nicht sein. Immerhin hat er seinen Segen zum Dreh des Films gegeben. Ich finde, Filmschaffende haben das Recht auf eine gewisse Freiheit, genau wie ein Maler dieses Recht besitzt. Der Film zeigt nichts Bösartiges oder Schockierendes an Gerhard Richter, das irgendwie an seiner Legende kratzen würde.

prisma: Welcher Film, den Sie zuletzt gesehen haben, verdient Ihrer Meinung nach einen Oscar?

Gätjen: "Alita: Battle Angle" hat mich umgehauen, aufgrund der großartigen visuellen Effekte und der Art und Weise, was man inzwischen im Kino alles erschaffen kann. "Green Book - Eine besondere Freundschaft" hat mir auch sehr gut gefallen und ist zu Recht für einen Oscar nominiert. Ich genieße es immer sehr, wenn ich das Gefühl habe, ich sehe auf der Leinwand zwei Schauspieler, die perfekt harmonieren. Die Geschichte ist an einigen Stellen zu klischeebehaftet, aber Viggo Mortensen und Mahershala Ali sind zusammen auf dem Bildschirm wirklich eine Naturgewalt. Obwohl ich gerne Filme sehe, bin ich in letzter Zeit viel bei Serien hängengeblieben. Die Academy sollte sich überlegen, ob sie nicht bald auch das Serien-Genre auszeichnen möchte. Da werden großartige Geschichten erzählt!

prisma: Welche Serie würden Sie nominieren?

Gätjen: Ich bin ein Kind der 80er-Jahre, ein großer Fan der Sci-Fi und des mystischen. Daher ganz klar: "Stranger Things". Ich freue ich schon jetzt auf die dritte Staffel.

prisma: Neben Netflix, Amazon und Co. produzieren auch deutsche Sender immer mehr Serien ...

Gätjen: Es entstehen immer wieder tolle neue Serien, mit interessanten Geschichten, und die müssen gar nicht mehr aus Amerika kommen, sondern auch in Deutschland gibt es hervorragende Schauspieler, Regisseure und Drehbuchautoren. Ich sage nur "Das Boot", "Bad Banks", "4 Blocks" oder "Dark", diese Serien können sich alle sehen lassen. Es ist eine äußerst positive Entwicklung, dass der Markt aufbricht, und der Konsument merkt, dass es nicht auf irgendwelche Namen ankommt, sondern auf eine toll erzählte Geschichte.

prisma: Sehen Sie auch eine Gefahr im Streaming-Hype?

Gätjen: Bei der Masse muss man aufpassen, dass die Klasse nicht verloren geht. Ich habe letztens gelesen, dass Netflix alleine letztes Jahr fast 700 neue Serien über die Plattform zur Verfügung gestellt hat. Manchmal bin ich selbst verwirrt, was ich noch schauen soll. Ich bin begeistert, dass die Auswahl steigt, der Markt vielfältiger wird, und vor allem die Risikobereitschaft höher ist. Es kommt viel mehr darauf an, was für eine Geschichte der Regisseur und der Drehbuchautor erzählen wollen, man lässt sich nicht mehr von bloßen Zuschauerzahlen oder Zielgruppen blenden.

prisma: Wie kann das lineare Fernsehen mit Netflix und Co. mithalten?

Gätjen: Es müssen gute Inhalte gedreht werden, und die Sender müssen auch mal ein Risiko eingehen. Am Ende eckt man doch sowieso an. Außerdem sollte man Trends nicht passieren lassen und sie dann zwei Jahre später aufgreifen. Das wird keinen Erfolg bringen. Es gibt für alles eine Zielgruppe, das zeigt das Internet täglich. Authentische Formate und Gesichter stehen ganz hoch im Kurs bei den Zuschauern.

prisma: Wie hat sich die Stimmung in Hollywood durch die #Metoo-Debatte verändert?

Gätjen: Die Debatte war unglaublich wichtig. Die Academy-Awards wurden erst von der #OscarsSoWhite-Bewegung erschüttert, später von #Metoo. Was ich erstaunlich finde, ist, dass die Academy nicht konsequent mit dem Thema umgeht. Schauen Sie sich die Kategorien an, und wie wenige Frauen überhaupt nominiert sind. Dabei machen sie fantastische Werke. Die Academy muss gegen die sinkenden Quoten kämpfen, gegen heiß diskutierte Nominierungen und Auszeichnungen, und es wird viel über die Repräsentation der unterschiedlichen ethnischen Gruppen diskutiert – und das zu Recht! Diese Oscars sind wegweisend, denn es muss etwas passieren.

prisma: Sind Sie als Moderator vorsichtiger geworden in Ihrem Handeln und in dem, was Sie sagen?

Gätjen: Man muss bei all den Debatten aufpassen, dass nicht alles total verkrampft wird. Wer rücksichtsvoll, respektvoll und höflich mit Menschen umgeht, der gerät meist auch nicht in Schwierigkeiten. Dass gerade Männer ihre Machtpositionen ausgenutzt haben, das verurteile ich, und es ist richtig und wichtig, dass dies an die Öffentlichkeit gelangt ist. Trotzdem muss man jetzt eine gesunde Menschenkenntnis an den Tag legen. Frauen können emanzipiert sein und es trotzdem gut finden, wenn ein Mann ihnen die Tür aufhält. Da gibt es nicht nur Schwarz und Weiß.

prisma: Sie sind eben von Hamburg nach München gereist, sind ständig unterwegs, bald geht es dann nach Los Angeles. Wünschen Sie sich manchmal einen ruhigeren Job?

Gätjen: Meine ganz verrückten Zeiten, in denen ich für einen Tag nach Neuseeland geflogen bin oder ähnliche Aktionen, die sind vorbei. Es ist nicht mehr so einfach wie noch vor 15 Jahren. Trotzdem liebe ich meinen Job und nutze ihn gerne, um die Welt und viele spannende Menschen kennenzulernen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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