Simon Frühwirth liefert als von Angststörungen geplagter junger Mann eine denkwürdige Performance.
Nichts für schwache Nerven: Gregor Schmidingers "Nevrland" führt den Zuschauer mit krassen Szenen an den Rand des Wahnsinns.

Nevrland

KINOSTART: 17.10.2019 • Drama • AT (2019) • 88 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Nevrland
Produktionsdatum
2019
Produktionsland
AT
Laufzeit
88 Minuten

Filmkritik

Panikkino aus dem Techno-Club
Von Mathis Raabe

Regisseur Gregor Schmidinger hat eine jugendliche Angststörung in flackernde Filmbilder verwandelt. Sein Langspieldebüt "Nevrland" ist eine Achterbahnfahrt durch Schlachthäuser, Porno-Szenen und Techno-Clubs, die in die Eingeweide trifft.

Der Österreicher Gregor Schmidinger ist ein internetaffiner Regisseur: Seine Kurzfilme "The Boy Next Door" und "Homophobia" sind auf YouTube millionenfach geklickt worden. In Klammern sind sie dort als "Gay Short Films" ausgewiesen. In seinem ersten Langfilm "Nevrland" ist nun nicht nur seine Hauptfigur ein schwuler Jugendlicher namens Jakob (gespielt von Simon Frühwirth); es scheinen in dessen Welt sogar ausschließlich Männer zu leben: sein emotionsarmer Vater, gespielt von Josef Hader, der Großvater, um den die beiden sich kümmern, die fleischigen Kollegen bei Jakobs Job in einem Schlachthaus, ein Therapeut, der ihm helfen soll, mit seiner Angststörung umzugehen, und Kristjan (Paul Forman), den er in einem Videochat kennenlernt.

Schmidinger bezeichnet "Nevrland" als einen Post-Gay-Film. Damit meint er, dass eine homosexuelle Hauptfigur nicht bedeuten muss, dass die Homosexualität oder das Coming-out zum zentralen Thema des Films werden. Vielmehr dreht sich sein Film um Jakobs Angststörung, eine vor allem unter Jugendlichen häufig diagnostizierte psychische Erkrankung.

Jakob spricht in den ersten 40 Minuten des Films kaum mehr als drei Sätze. Dafür nimmt der Zuschauer an seinen Wahnvorstellungen teil. In Jakobs Gedankenwelt verschmelzen Bilder von den blutigen Schweineleibern, die er tagsüber im Schlachthaus sieht, mit den Bildern von Männerkörpern, die er nachts im Internet findet. Auch in Schmidingers Sets schleichen sich diese Bilder ein: Eine Krankenhaustür im Hintergrund scheint blutverschmiert zu sein, in der Praxis des Therapeuten hängt ein großes Bild, auf dem ein formloses rotes Geschwulst zu sehen ist – erste Anzeichen dafür, dass das, was in Jakobs Psyche stattfindet, sich zunehmend in den Film selbst ausbreiten wird.

"Enjoy your trip to Nevrland"

Jakobs Angststörung führt zu einem Misstrauen gegenüber seinem eigenen Körper. Da ist es wenig hilfreich, dass alle anderen Körper, die er sieht, entweder toten Schweinen gehören oder gleichermaßen leblose Abbildungen in Online-Pornos sind. Endlich trifft er Kristjan persönlich, einen mysteriösen Adonis, der in einer Patrick-Bateman-artigen Luxuswohnung lebt, inklusive Fitnessstudio und Heimkino. "Enjoy your trip to Nevrland", sagt Kristjan, als er Jakob nach dem ersten Sex seinen vermutlich ersten Drogentrip verabreicht. Leider entfaltet das Psychedelikum DMT seine Wirkung stark verspätet. Beim Tanzen im Techno-Club scheint Jakob endlich wieder auf eine angenehme Weise seinen Körper zu spüren.

Dem Regisseur selbst hat laut Interviewaussagen Techno-Musik geholfen, mit seiner eigenen Angststörung umzugehen. In seinem Film aber setzt an dieser Stelle eine 15-minütige Horror-Montage ein, die ganz offensichtlich den Kinozuschauer selbst an den Rand einer Panikattacke bringen will.

Schmidinger beweist in seinem Langspieldebüt ein herausragendes Gespür für filmischen Rhythmus. Das Licht strukturiert seine Räume: der Fernseher im dunklen Elternhaus, das Licht des Laptop-Bildschirms in Jakobs dunklem Zimmer, das Stroboskop im dunklen Techno-Club. Ein Polyrhythmus aus Licht, Schnitt und dem Techno-Soundtrack des Wiener Produzenten Gerald VDH strukturiert wiederum seinen Film. "Nevrland" ist kein queeres Coming-of-Age-Drama, wie man zu Beginn vielleicht vermuten könnte, sondern eine audiovisuelle Darstellung einer psychischen Erkrankung. Regisseur Schmidinger hat einen Film gemacht, der von der Epilepsie-Warnung im Vorspann an Unbehagen verursacht und dessen letzte Viertelstunde sich im Kino beinah wie eine Panikattacke anfühlt. Und uns lehrt, dass sich psychische Erkrankungen schlecht mit psychoaktiven Drogen vertragen.

Quelle: teleschau – der Mediendienst

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