Familie Şimşek, auf einem Schnappschuss während einer Reise: Der Nürnberger Blumenhändler Enver Şimşek war im Jahr 2000 das erste Opfer des rechtsterroristischen NSU.
Die deutsch-türkische Dokumentarfilmerin Aysun Bademsoy besucht die Angehörigen der NSU-Opfer und lässt sie ausführlich zu Wort kommen. "Spuren - Die Opfer des NSU" ist ein leiser, aber wichtiger neuer Zugang zum Phänomen der rechten Gewalt in Deutschland.

Spuren - Die Opfer des NSU

KINOSTART: 13.02.2020 • Dokumentarfilm • D (2019) • 81 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Spuren - Die Opfer des NSU
Produktionsdatum
2019
Produktionsland
D
Filmstudio
ma.ja.de. FilmProduktions, ZDF, ARTE
Laufzeit
81 Minuten

Filmkritik

Erschütterung des Deutschseins
von Eric Leimann

Aysun Bademsoy hat einen Dokumentarfilm über die Morde des NSU gedreht, bei dem – ausschließlich und ausführlich – die Hinterbliebenen zu Wort kommen. "Spuren – Die Opfer des NSU" ist wichtiges Werk über die Erschütterung des "Deutschseins" unter Türken der zweiten und dritten Generation.

Nach den Enthüllungen der NSU-Morde an acht Menschen mit türkischen Wurzeln, einem Griechen und einer deutschen Polizistin schien das Thema mit der Urteilsverkündung 2018 vorläufig beendet. Die beiden Haupttäter Mundlos und Böhnhardt hatten sich vor ihrer Verhaftung selbst getötet, lebenslänglich gab es für ihre Mittäterin Beate Zschäpe. Vier mutmaßliche Helfer und Unterstützer erhielten sehr milde Strafen.

Die Angehörigen der Opfer hatten über fünfeinhalb Jahre den Prozess weitgehend schweigend und hoffnungsvoll verfolgt. Doch mit der Urteilsverkündung brachen Wut und Enttäuschung aus ihnen heraus. Man muss es verstehen: Jahrelang hatten Polizei und Justiz "auf dem rechten Auge blind" in Richtung Drogen-, Bandenkriminalität und Familiendramen unter den Angehörigen der Opfer selbst ermittelt. Es gab Wohnungsdurchsuchungen und Verdächtigungen, die jene betroffenen Familien ein weiteres Mal zu Opfern machten. Erst sehr spät wurden die Hinweise auf Taten des rechtsextremen Milieus ernst genommen, der deutsche Verfassungsschutz spielte dabei keine rühmliche Rolle.

Die beeindruckende ARD-Filmtrilogie "Mitten in Deutschland: NSU" widmete sich bereits im Frühjahr 2016 in Form dreier Spielfilme dem Thema. Dazu kamen ein spekulatives Dokudrama über Beate Zschäpe ("Letzte Ausfahrt Gera", Januar 2016, ZDF) und ein besonders hartes Kunst-Drama von Extrem-Regisseur Jan Bonny über ein rechtes Gewalttrio, das dem NSU doch sehr ähnlich war ("Wintermärchen", 2019).

Gemein hatten all diese Filme, dass sie bis auf "Die Opfer – Vergesst mich nicht" von Züli Aladag (Teil der ARD-Trilogie) eher der Faszination der Täter und ihrer Gewalt erlagen. Dokumentarfilmerin Aysun Bademsoy ("Mädchen am Ball"), die 1960 in der Türkei geboren wurde und in Deutschland aufwuchs, widmet sich in "Spuren – Die Opfer des NSU" nun ausschließlich den Angehörigen der Opfer. Das ist nicht nur überfällig, sondern eröffnet auch einen neuen Blick auf die Folgen des NSU-Skandals und das Verrücken des deutschen Status-Quo-Lebensgefühls nach rechts.

Auf den ersten Blick scheint Bademsoys relativ kurzer Dokumentarfilm (81 Minuten) maximal unspektakulär. Die Familien und Freunde der Opfer erzählen einfach, wie es ihnen seit den Taten ergangen ist. Bis zu 20 Jahre sind manche der Verbrechen nun her.

Süleyman Taşköprü, Obst- und Gemüsehändler, wurde 2001 in Hamburg-Bahrenfeld im Laden seines Vaters mit drei Schüssen aus zwei Waffen getötet. Er war 31 Jahre alt und Vater einer dreijährigen Tochter. Im Film erzählt sein kleiner Bruder, heute selbst ein Mann mittleren Alters, eher nüchtern und dennoch emotional präzise von dem, was seit damals fehlt und sich in seiner Wahrnehmung geändert hat. Auch die Familien des ersten Opfers, des Nürnberger Blumenhändlers Enver Şimşek, und von Mehmet Kubaşık, Besitzer eines Kiosks in der Dortmunder Nordstadt, kommen ausführlich zu Wort. Man erlebt Deutsche mit türkischen Wurzeln, deren Vertrauen in ihren Rechtsstaat sowie die Idee einer offenen, freien Gesellschaft tief erschüttert ist.

Darüber hinaus ist "Spuren" auch ein Film über Trauer als solche. Wenn Erwachsene, die damals Kinder oder Jugendliche waren, erzählen, wie das Gesicht und die Stimme des Vaters heute mehr und mehr verblassen, bekommt das politische Grundthema des Films eine persönliche, gleichwohl universelle Note, die den gesellschaftspolitischen Aspekt dieser leisen Dokumentation trotzdem noch mal auf besondere Art hervorhebt. "Spuren" ist ein Film, der sich viel Zeit lässt, der gutes Zuhören und Beobachten erfordert. Eine Geduld, die die Opfer über alle Maßen verdienen – und die zudem ein neues Verständnis ihrer traurigen Geschichten bietet.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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