"Die vollkommene Rosalinde, die beste in der Geschichte des englischen Theaters", erklangen unisono die enthusiastischen Kritiken als Vanessa Redgrave 1961 in "Wie es Euch gefällt" mit der Royal Shakespeare Theatre Company im Aldwych Theatre auftrat. Kurz darauf erhielt sie als Käthchen in "Der Widerspenstigen Zähmung" den Preis des "Evening Standard" und den "Großen Britischen Schauspielerpreis".
Ihr Kinodebüt in Karel Reisz' "Protest" war nicht weniger sensationell: in Cannes erhielt die Debütantin 1966 den Preis der besten Schauspielerin. Obwohl ihr Vater Michael Redgrave einer der großen britischen Charakterdarsteller ist, schaffte sie ihre Karriere völlig unabhängig, wie übrigens auch ihre Schwester Lynn und ihre beiden Töchter aus der Ehe mit Tony Richardson: Natascha und Joely Richardson. Der Vater ihres Sohnes Carlo Gabriel Nero, 1969 geboren, ist der bekannte Italowestern-Star Franco Nero.
Die vielgesichtige und quicklebendige Schauspielerin erlangte ihren Weltruhm mit dem Kultfilm "Blow Up" (1966) des großen Italieners Michelangelo Antonioni. Vanessa Redgrave hat die unterschiedlichsten Charaktere gespielt: Irritierend und konsequent spielt sie in Richardsons "Nur eine Frau an Bord" (1966, nach Marguerite Duras' "Der Matrose von Gibraltar") die hier seltsam starre Jeanne Moreau an die Wand.
Bei Karel Reisz wiederum ist sie die wundervolle Tänzerin "Isadora" Duncan (1968). Für den Film erhielt sie den Preis der britischen und auch der amerikanischen Filmkritik. Ein Tiefpunkt war ihre Königin Guinevra, die Frau von Artus und Geliebte des Ritters Lancelot in dem faden Musical "Camelot" (1967) mit Richard Harris und Franco Nero (!). Einen Oscar erhielt Vanessa Redgrave schließlich für ihre erschütternde "Julia" (1977) in Fred Zinnemanns Film. Hier stellte sie die jüdische Freundin der amerikanischen Schriftstellerin Lillian Hellman (im Film Jane Fonda) dar, die zu den erbitterten Kämpferinnen gegen die Nazis gehörte.
Mit der Rolle der halbjüdischen Chansonsängerin Fania Fänelon geriet die Schauspielerin vor allem wegen ihres militanten Engegements für die PLO ins Zwielicht, was allerdings die Juroren für den Emmy nicht anfocht, sie für diese Rolle als beste Schauspielerin im amerikanischen Fernsehen auszuzeichnen. In mindestens drei Filmen pro Jahr war Vanessa Redgrave zu dieser Zeit auch bei uns im Kino zu sehen. In Erinnerung sind Rollen wie die einer engischen Journalistin in Jewgenij Jewtuschenkos Film "Stalins Begräbnis" (1990). Oder als skrupellose Agentin in Brian De Palmas schrillem "Mission Impossible" (1996) an der Seite von Top-Star Tom Cruise. Sowie als harmoniebedürftige ältere Dame in John Irvins nostalgischem Liebesfilm "Ein Sommer am See" (1995).
Erschütternd war die Rolle der langsam dahinsiechenden Ehefrau von Maximilian Schell in der aufregenden Schilderung russisch-jüdischer Emigranten: "Little Odessa - Eiskalt wie der Tod" (1994). Vanessa Redgrave wurde für ihre überzeugenden Rollen rund ein Dutzend mal für den Oscar oder den Golden Globe nominiert. Beide Preise erhielt sie aber nur ein einziges Mal für die Nebenrolle in dem Beziehungsdrama "Julia" (1977).
Weitere Filme mit Vanessa Redgrave: "Ein Mann zu jeder Jahreszeit" (1966), "Das verfluchte Haus", "Der Angriff der leichten Brigade", "Die Möwe" (alle 1968), "Die Teufel" (1970), "Die Trojanerinnen", "Maria Stuart, Königin von Schottland" (beide 1971), "Mord im Orient-Express" (1974), "Hass kennt keine Nachsaison" (1975), "Kein Koks für Sherlock Holmes" (1976), "Das Geheimnis der Agatha Christie" (1978), "Yanks - Gestern waren wir noch Fremde", "Die Bäreninsel in der Hölle der Arktis" (beide 1979), "Dies ist mein Kind" (1981), "Sing Sing" (1982), "Die Damen aus Boston" (1984), "Peter der Große", "Spiel, Satz, Sieg" (beide 1986), "Die Ballade vom traurigen Cafe", "Orpheus steigt herab" (beide 1990), "Die junge Katharina", "Was geschah wirklich mit Baby Jane?" (beide 1991), "" (1992), "Das Geisterhaus", "Botschaft aus dem Jenseits", "Tödliche Absichten", "Was vom Tage übrig blieb", "Wunderbare Augenblicke der Luftfahrt" (alle 1993), "Der Tod hinter der Maske", "Die Weiden im Winter" (beide 1995), "Looking for Richard", "Zwei Mütter für Zachary" (beide 1996), "Fräulein Smillas Gespür für Schnee", "Bella Mafia", "Oscar Wilde", "Mrs. Dalloway" (alle 1997), "Deep Impact", "Lulu On The Bridge" (beide 1998), "Durchgeknallt - Girl, Interrupted" (1999), "Women Love Women", "Das Versprechen", "Die Erika und Klaus Mann Story - Escape to Life" (alle 2000), "In tierischer Mission" (2003, nur Stimme), "Herr der Diebe", "The White Countess", "Short Order - Das Leben ist ein Buffet" (alle 2005), "Abbitte", "Spuren eines Lebens" (beide 2007), "Briefe an Julia", "Miral", "The Whistleblower" (alle 2010), "Anonymus" (2011), "Song für Marion" (2012), "Der Butler" (2013).