"Glaubst du, was sie in der Schule sagen", fragt Fritzi (links) im Sommer 1989, "dass im Westen alle unglücklich sind?" Was Fritzi nicht weiß: Ihre beste Freundin Sophie wird in wenigen Wochen über Ungarn "rüber machen".
Wer dabei war, ist klar im Vorteil: "Fritzi - Eine Wendewundergeschichte" erzählt mit stimmiger Atmosphäre und aus der Perspektive einer Zwölfjährigen, was 1989 in Leipzig wirklich passierte.

Fritzi - Eine Wendewundergeschichte

KINOSTART: 09.10.2019 • Animation • D/B/L/CZ (2019) • 86 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Fritzi: Eine Wendewundergeschichte
Produktionsdatum
2019
Produktionsland
D/B/L/CZ
Filmstudio
TrickStudio Lutterbeck, MAUR film, Artémis Productions, Doghouse Films, KiKA, WDR, ARTE, NDR, MDR, Balance Film
Laufzeit
86 Minuten

Filmkritik

Montage für die Zukunft
von Andreas Fischer

Der Animationsfilm "Fritzi – Eine Wendewundergeschichte" ist eine famose Geschichtsstunde über den Wendeherbst 1989 – konsequent aus den Augen einer aufgeweckten Zwölfjährigen erzählt, die beim Versuch, ihrer Freundin im Westen den Hund zurückzubringen, die DDR zum Einsturz bringt.

Es gibt in "Fritzi – Eine Wendewundergeschichte" diese eine Szene, in der die Essenz des ganzen Films liegt und damit auch die Essenz der Wende 1989: Die von der DDR-Führung streng ideologisierten Schüler einer sechsten Klasse weigern sich, ihre Mitschülerin Fritzi von der Schule zu werfen. Eigentlich sollten sie das Mädchen wegen unsozialistischen Verhaltens verbannen – offiziell ihre eigene Entscheidung, doch natürlich steht der Beschluss längst fest. Eine Formsache also, in der Schule hatte der Staat bis dato kaum mit Widerstand zu rechnen. Die Schüler aber, ehedem stramme Thälmann-Pioniere, bescheinigen Fritzi Mut, Gerechtigkeitssinn und Hilfsbereitschaft – also genau die Eigenschaften, die der real existierende DDR-Sozialismus seinen Menschen gerne zuschrieb und die ihm nun das Genick brechen.

"Fritzi – Eine Wendewundergeschichte" ist ein famoser Animationsfilm, der konsequent aus den Augen eines Kindes beschreibt, was damals im Herbst 1989 in der DDR passierte. Die Titelheldin, eine zwölfjährige Schülerin, verliert in den Wirren der Wendezeit ihre beste Freundin Sophie. Die fährt im Sommer mit ihrer Mutter nach Ungarn in den Urlaub, ihren Hund Sputnik lässt sie zur Pflege bei Fritzi. Doch Sophie kommt nicht zurück, sie "macht rüber" – über die grüne Grenze zu Österreich. Für Fritzi ist das unvorstellbar, sie hat mit Politik nichts am Hut und macht in Leipzig das, was Kinder in ihrem Alter eben machen: Eis essen, zum Baden fahren, durch die Stadt streunern.

Als der Sommer vorbei ist und Sophie nicht zur Schule zurückkommt, ahnt sie, dass etwas anders ist im Staate. Das Regime bäumt sich ein letztes Mal auf, die SED-treue Klassenlehrerin und einige Mitschüler schikanieren Fritzi als Freundin einer Klassenfeindin. Fritzi versteht die Welt nicht mehr und setzt alles daran, Sophie ihren Hund zurückzubringen.

Während ihre Eltern verunsichert sind und zaudern, stürzt sich Fritzi unbekümmert in die aufregende Zeit. Erst nach und nach wird ihr bewusst, dass der antifaschistische Schutzwall in Wahrheit eine tödliche Mauer ist. Das ist fantastisch und stimmig bis in die Details erzählt als persönliches Abenteuer inmitten großer gesellschaftlicher Umwälzungen.

Das paneuropäische Picknick an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn am 19. August, der "Tagesschau"-Bericht von der ersten Montagsdemo vor der Leipziger Nikolaikirche am 4. September, Hans-Dietrich Genschers Ausreiserede in der BRD-Botschaft in Prag am 30. September: Die historischen Wegmarken dieser Zeit sind als Nachrichten in Funk und Fernsehen präsent – mit O-Tönen und den echten Nachrichtenbildern, die für den Film verfremdet wurden.

Was den Regisseuren Ralf Kukula und Matthias Bruhn nicht hoch genug anzurechnen ist: Sie erzählen ihre lehrreiche Geschichtsstunde mit einer persönlichen Note, die nicht nur kindgerecht ist, sondern auch für Erwachsene funktioniert. Historische Begebenheiten werden dadurch greifbar. Das kommt nicht von ungefähr: Für den zugrundeliegenden Tatsachenroman "Fritzi war dabei" interviewte Autorin Hanna Schott drei Mädchen, die im Herbst 1989 zehn Jahre alt waren. Aus ihnen destillierte sie Fritzi, die sich ganz natürlich entwickelt und quasi in die Ereignisse reinrutscht.

Klar, sie kann ihnen ohnehin nicht entkommen, wie niemand immun gegen gesellschaftlichen Entwicklungen ist. Aber, und das unterscheidet das Mädchen von passiven Erduldern: Sie interessiert sich für das, was um sie herum geschieht. Aus Interesse erwächst Erkenntnis, und damit kommen die Fragen, die schließlich das System zum Einsturz bringen.

Man bekommt ein Verständnis dafür, wieso die Leute einst auf die Straße gingen und wie sich die Dynamik des Protestes entwickelte. Es ging den Menschen nicht um Bananen und Coca-Cola. Es ging ihnen um ihre Freiheit, um eine lebenswerte Zukunft. Es hatte immer auch eine persönliche Note. Bei Fritzi ist es der Hund, den sie Sophie nicht zurückbringen kann, weil der "antifaschistische Schutzwall" unüberwindbar war.

Natürlich hat nicht die aufgeweckte Fritzi die DDR zu Fall gebracht, aber sie hat einen Teil dazu beigetragen. Die vielleicht größte Erkenntnis ist nämlich die, dass es sich durchaus lohnt, couragiert für etwas einzutreten anstatt aus Prinzip gegen etwas zu sein. Die "Fridays For Future"-Bewegung hat diese Lektion schon gelernt. Andere sind noch nicht so weit oder haben es in den 30 Jahren seit dem Herbst '89 schon wieder gründlich verlernt. Ein bisschen mehr Fritzi würde der Republik auf jeden Fall guttun.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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