Lady Bird (Saoirse Ronan) will hoch fliegen, auch wenn ihre Flügel immer wieder gestutzt werden.
Witzig, traurig - und alles ist echt: "Lady Bird" ist ein fantastischer Coming-of-Age-Film von Greta Gerwig.

Lady Bird

KINOSTART: 19.04.2018 • Komödie • USA (2017) • 95 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Lady Bird
Produktionsdatum
2017
Produktionsland
USA
Budget
10.000.000 USD
Einspielergebnis
43.733.193 USD
Laufzeit
95 Minuten
Regie

Filmkritik

Aufreizend unaufgeregt
Von Andreas Fischer

Im Autoradio läuft das Hörbuch von John Steinbecks "Früchte des Zorns". Christine, die "Lady Bird" genannt werden will, und Marion weinen, so wie nur Mütter und Töchter zusammen weinen können. Das Buch ist zu Ende und die beiden streiten. So heftig, wie nur Mütter mit ihren flügge werdenden Töchtern streiten können. Dann macht Lady Bird etwas, was niemand erwartet, was aber unvermeidlich ist, weil es keinen anderen Ausweg gibt. Sie öffnet in voller Fahrt ihre Autotür und lässt sich auf die Straße fallen. Das ist nicht etwa ein Traum. Das ist Realität. So wie alles Realität ist in dem fantastischen Film "Lady Bird", der trotz waghalsigem Auftakt ziemlich unaufgeregt vom Erwachsenwerden und einer kompliziert-normalen Mutter-Tochter-Beziehung erzählt.

Greta Gerwig hat "Lady Bird" geschrieben und inszeniert, eine Frau, die als Ikone des Indiekinos verehrt wird. Sie hat mit ihrem Lebensgefährten Noah Baumbach Filme wie "Frances Ha", "Greenberg" und "Mistress America" gemacht, als Schauspielerin und Drehbuchautorin. Wer an Greta Gerwig denkt, der denkt automatisch an New York.

Ihr erster Film, bei dem sie alleine Regie führte, spielt in Kalifornien – und in ihrer eigenen Vergangenheit. Eine Autobiografie ist "Lady Bird" zwar nicht, aber fast. In dem Film stecken viele persönliche Erfahrungen, die Gerwig gemacht hat, als sie in Sacramento aufwuchs. Dort ist es viel zu beengt für eine junge, unzähmbare Frau mit großen Träumen.

Wie Gerwig will auch Lady Bird (Saoirse Ronan) unbedingt weg. Ihr Ziel ist die Ostküste, dort "wo es Kultur" gibt. Träumen ist zwar erlaubt, aber die Noten an der Highschool, der überschaubare akademische Fleiß und die finanzielle Situation zu Hause säen starke Zweifel an der Umsetzbarkeit von Lady Birds Plänen. Abbringen lässt sich die 17-Jährige davon nicht, erst recht nicht von ihrer patenten Mutter (Laurie Metcalf), mit der sie eine Dauerfehde austrägt.

Ihr wohnt die Rotzigkeit der Jugend inne, diese im Leben einmalige Mischung aus Kraftmeierei und Unsicherheit, aus Rebellion und Wankelmut, mit der so schwierig umzugehen ist. Nicht nur für Teenager, sondern insbesondere auch für ihre Eltern. Erste Liebe, erste Enttäuschung, erster Sex, nächste Enttäuschung, ein paar kleine Lügen hier, Freunde austauschen dort – und rebellieren, wo es nur geht. Saoirse Ronan ist die perfekte Besetzung für diese Rolle. Sie flattert durch den Film, als liebenswerte Nervensäge und sympathischer Dickkopf, beherrscht das Spiel mit Nuancen, ist gerade wegen ihrer unaufgeregten Präsenz glaubwürdig.

Dass die Suche nach der Identität so echt erzählt wird, witzig ist und voller Alltagstragik in den Nebenbeimomenten, das ist Gerwigs große Kunst. Sie doziert nicht, und sie weiß nichts besser. Aber sie kennt das Leben in Sacramento und all den anderen kleinen Städten, wo man sich manchmal schämt, auf der "falschen Seite der Gleise" zu wohnen, wo man sich mit der Mutter zofft, bis alle heulen. Wo man sich abnabeln und loslassen können muss.

Fünf Oscar-Nominierungen hat "Lady Bird" in diesem Jahr erhalten. Jede war verdient. Dass der Film am Ende leer ausging – daraus muss man sich nichts machen. "Lady Bird" kommt auch ohne Academy-Ehren sehr gut klar. Und: Der ganze Trubel, der mit dem Oscar einhergeht, hätte so gar nicht zu diesem aufreizend unaufgeregten Film gepasst.

Quelle: teleschau – der Mediendienst

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