Vincent Cassel glänzt als Paul Gauguin in Edouard Delucs ein wenig zu konventionell geratenem, gleichnamigen Biopic.
"Es gibt hier kein Gesicht, keine Landschaft, die ich noch malen will. Ich ersticke hier", sagt Gauguin leidenschaftlich zu seinen Pariser Künstlerfreunden, kurz bevor er seine Heimat gen Französisch-Polynesien verlässt. Dieser Satz stammt aus Gauguins Reisebericht "Noa Noa", den er 1893 nach seinem Aufenthalt auf dem heutigen Tahiti geschrieben hat. Das Büchlein diente Regisseur Edouard Deluc als Inspirationsquelle für sein Biopic "Gauguin", das von den 18 Monaten handelt, die der besessene Maler im vermeintlichen Paradies verbrachte. Mit dem wandlungsfähigen Vincent Cassel hätte er wohl kaum einen intensiveren Darsteller für die Titelrolle gewinnen können. Allerdings hätte das unter seiner Federführung entstandene Skript durchaus wahrhaftiger ausfallen können.
1891 verlässt der erfolglose Kunstmaler Paul Gauguin (Vincent Cassel), dessen Leben bereits zweimal verfilmt wurde, schweren Herzens allein Paris – stets dezent begleitet von dem Soundtrack von Warren Ellis. Gauguin liebt seine Familie, seine fünf Kinder, doch der von seinem Talent zutiefst überzeugte Expressionist ist wild entschlossen, sich auf der exotischen Insel gänzlich der Malerei zu widmen. In einer Wellblechhütte fernab der Hauptstadt Papeete trotzt Gauguin Einsamkeit, Hunger und Krankheit. Kameramann Pierre Cotterau fängt sowohl die raue Schönheit als auch die von Armut umflorten Seiten Tahitis gekonnt ein.
Im Dschungel trifft der 43-jährige Maler auf seine zukünftige Muse, seine ursprüngliche "Eva", die ihm von unschuldigen "Wilden" als Frau angeboten wird. Die Inselschönheit, der Gauguin einige seine größten Werke verdankt, war laut heutigen Schätzungen erst 13 Jahre alt.
Dieses heiße Eisen, die pädophile Neigung des Malergenies, wagt Deluc aber leider nicht anzufassen: Zwar war Darstellerin Tuheï Adams während der Dreharbeiten noch 17 und damit minderjährig, wirkt im Film aber wie eine volljährige Frau. Eine Regieentscheidung, die dem Biopic ein großes Maß an Glaubwürdigkeit nimmt und einen üblen Nachgeschmack hinterlässt. Ja, Gauguin war ein visionärer Künstler, der seiner Zeit weit voraus war, aber er war auch ein rücksichtsloser Mensch, der in der französischen Kolonie mit diversen exotischen Kindfrauen schlief und sie mit Syphilis ansteckte.
Zunächst weckt die junge Frau in ihm neue Kräfte, doch ihr gemeinsames Leben ist von extremer Armut und Hunger und sogar einer Fehlgeburt geprägt, was jedoch auch nie so dramatisch inszeniert wird, dass es den durchschnittlichen Arthouse-Kinozuschauer verschrecken könnte. Zudem betrübt es Tehura zusehends, auf ihre Rolle als gelegentliche Bettgefährtin und bewegungslos dasitzendes Modell des Künstlers reduziert zu werden.
So fängt sie ausgerechnet mit dem gleichaltrigen Einheimischen Jotépha eine Liebesbeziehung an, der Gauguin-inspirierte Schnitzereien erfolgreich in Massen für die Weißen herstellt. Denn Tahiti ist längst nicht mehr ein unbescholtenes Paradies: Kapitalismus und Christianisierung durch die Kolonialherren haben längst ihre hässlichen Spuren hinterlassen.
Mit diesem Nebenhandlungsstrang wirft Deluc interessante Fragen auf, die den Zuschauer auch nach dem Ende des zu unkritischen und zu langatmig geratenen Films noch eine Weile beschäftigen werden: Sind die Skulpturen des weißen Malers, der sich von der untergehenden Eingeborenenkultur inspirieren ließ, moralisch unbedenklicher als die folkloristische Massenware, die Jotépha an die Weißen vertickt? Ja, was ist eigentlich das unverfälschte Wesen der Mysterien, der Menschen, der Frauen? Eine Frage, die auch den zeitlebens besessen nach Unschuld suchenden und sich tragischerweise selbst an ihr vergehenden Gauguin umtrieb.
Quelle: teleschau – der Mediendienst