Lily hat ALS und will selbstbestimmt aus dem Leben scheiden: Susan Sarandon verkörpert ihre Figur wird Würde.
Abschied nehmen von der Mama? Im sentimentalen Wohlfühldrama "Blackbird - Eine Familiengeschichte" geht das nicht ohne sinnlose Streitereien.

Blackbird - Eine Familiengeschichte

KINOSTART: 24.09.2020 • Drama • USA (2019) • 98 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Blackbird
Produktionsdatum
2019
Produktionsland
USA
Laufzeit
98 Minuten

Filmkritik

Kein Anstand, kein Mitgefühl
Von Andreas Fischer

Mama will sterben, und die Familie ist am letzten gemeinsamen Wochenende auf Krawall gebürstet: Die erlesene Belanglosigkeit "Blackbird – Eine Familiengeschichte" schert sich reichlich wenig um sein Kernthema Sterbehilfe, sondern leuchtet lieber triviale Zwistigkeiten aus.

Lily (Susan Sarandon) hat beschlossen zu sterben. Bevor sie still und leise aus der Welt scheidet, selbstbestimmt und freien Willens, versammelt sie ihre Familie für ein letztes gemeinsames Wochenende. Weil tatsächlich alle da sind, neben dem Gatten und der besten Freundin auch die beiden Töchter, deren Partner und der Enkel, ist es mit der Ruhe nicht weit her. Ganz im Gegenteil: "Blackbird – Eine Familiengeschichte" ist ein ziemlich lauter und geschwätziger Abschied. "Notting Hill"-Regisseur Roger Michell hat das Remake des sensiblen Sterbehilfedramas "Silent Heart" (2014) von Bille August inszeniert und es in einen liberalen, wohlhabenden Bilderbuchkosmos verlegt.

Über Monate hinweg haben sich Lily und ihre Familie auf den Tag X vorbereitet, sie wissen alle, was passieren wird. Der Abschied ist im Herzen schon vollzogen. Dass dennoch keine ausgelassene Partystimmung aufkommt, ist verständlich. Aber deswegen muss sich die ganze Sippschaft doch nicht gleich an die Gurgel gehen! Hinter der aufgeklärten Fassade belauern sich jedoch ziemlich armselige Charaktere. Vor allem die konformistische Jennifer (Kate Winslet), die nicht nur ihrer rebellischen Schwester Anna (Mia Wasikowska) das Leben mit immer neuen Vorhaltungen und Besserwissereien zur Hölle macht, scheint es darauf abgesehen zu haben, aus der letzten Reise ihrer Mutter einen Horrortrip werden zu lassen.

Lily gibt sich zwar taff und abgeklärt, wirft ihre Tochter mit einem barschen "Seid ihr schon wach? Ich bin bald tot, kommt mal lieber zum Frühstück" aus dem Bett. Doch eigentlich kann sie nur hilflos zusehen, wie ihre anstrengende Familie erodiert. Entweder zerfleischen sie sich am sorgfältig arrangierten Esstisch oder treffen in verschiedenen Konstellationen zu vertiefenden Erörterungen familiärer Unstimmigkeiten aufeinander. Die einzigen, die nicht nur Anstand und Mitgefühl haben, sondern die emotionalen Ränkespiele souverän ignorieren, sind Lilys Enkel Jonathan (Anson Boon), dem die besten Szenen des Films gehören, und Annas Lebensgefährtin Chris (Bex Taylor-Klaus).

Schauspielerisch ist das alles umwerfend, und viele Szenen funktionieren für sich genommen ausgesprochen gut – als Schlaglicht auf all die aufgestauten Konflikte, die es in den besten Familien geben muss, damit sie überhaupt funktionieren können. Wo gibt es denn im echten Leben schon unendliche Harmonie? Und wer würde das überhaupt ertragen?

Probleme und Konflikte flammen immer nur kurz auf, selbst nach einer unsinnig ins Finale konstruierten Affäre von Lilys Ehemann Paul (Sam Neill) und ihrer besten Freundin Liz (Lindsay Duncan) vertragen sich alle schnell wieder. Jennifer hat sogar endlich mal leidenschaftlichen Sex mit ihrem nerdigen Mann Michael (Rainn Wilson).

Bei all den Nebenschauplätzen rückt die eine Person freilich immer mehr aus dem Fokus, um die es geht: Susan Sarandon stemmt sich als sterbenskranke Frau zwar mit der Würde ihrer ganzen Schauspielkunst gegen die zunehmenden Unsinnigkeiten, ist aber schlussendlich gegen die ausufernden Banalitäten im Drehbuch machtlos. Dass Autor Christian Torpe sein eigenes Originalscript für das Remake adaptiert hat, mag man kaum glauben.

Das eigentliche Kernthema der Sterbehilfe wird zur Randnotiz in einem Wohlfühlfilm mit makabren Humorinseln. Lilys vorletzte Worte sind für die Ewigkeit: "Lasst mich nicht mit offenem Mund sterben." Ansonsten gibt es vor allem schöne Bilder zu sehen: von durch die Bank guten Schauspielerinnen und Schauspielern in einem todschicken Haus, arrangiert in Gemälden von Szenen, die aus dem Theater stammen könnten. Die interessanten Fragen aber – etwa wie sich die Menschen zur existenziellen Dualität von Leben und Tod verhalten, wenn sie persönlich betroffen sind – lässt der Film weitgehend unbeantwortet. Immerhin: Der eigentliche Abschied ist sehr ruhig und tröstlich.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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