Die Lust an mörderischen Taten auf die Spitze getrieben – genau das bietet "Red Rooms – Zeugin des Bösen". Protagonistin ist eine junge Frau namens Kelly-Anne (Juliette Gariépy), die sich einen Schlafplatz auf der Straße sucht, nur um den Prozess gegen den mutmaßlichen Mädchenmörder Ludovic Chevalier (Maxwell McCabe-Lokos) live im Gerichtssaal von Montréal verfolgen zu können. Dem unscheinbaren, in einem Glaskasten sitzenden Mann wird vorgeworfen, drei Teenagerinnen grausam gefoltert, sie zerlegt und sein Vorgehen für ein zahlungswilliges Publikum im Dark Web gefilmt zu haben.
Alles Lüge, behauptet die aufgekratzte Clementine (Laurie Babin), die den Angeklagten vergöttert und vor jeder Fernsehkamera über seine Unschuld philosophiert. Obwohl Kelly-Anne von ihr ein wenig genervt ist, lässt sie die Zugereiste vorübergehend bei sich wohnen und pilgert mit ihr an jedem neuen Prozesstag ins Justizgebäude. Groß ist die Enttäuschung bei Clementine, dass die Vorführung zweier Tatvideos unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden soll. Ihre Gastgeberin jedoch, eine ausgewiesene Technikexpertin, kann ihre Neugier stillen. Und plötzlich ist nichts mehr wie zuvor ...
Die Eröffnungsrede der Staatsanwältin lässt Schlimmeres vermuten. Nämlich einen Film, der sich hemmungslos in Gewaltbildern ergeht. In Wahrheit aber widersteht der auch für das Drehbuch verantwortliche Regisseur der Versuchung, den reißerischen (fiktiven) Stoff auch so zu präsentieren. "Red Rooms – Zeugin des Bösen" ist ein Thriller, der ganz ohne Exzesse auskommt, geschickt das Kopfkino der Zuschauer aktiviert und sie mit ihrer eigenen Faszination am Bösen konfrontiert.
Spannung bezieht Pascal Plante vor allem aus einer Frage: Was genau will eigentlich Kelly-Anne? Die so kontrolliert auftretende Frau, unter deren Oberfläche es zunehmend brodelt, ist rätselhaft, schwer zu fassen. Eine der wohl unbequemsten, aber auch aufregendsten Thriller-Figuren der jüngeren Vergangenheit. Nicht zuletzt dank Juliette Gariépys beeindruckender Performance.