Eine Deutsche lernt einen kurdischen Mann in der Türkei kennen. Sie ist Pilotin, er ein Gigolo, der von einem besseren Leben in Deutschland träumt. "Es gilt das gesprochene Wort" erzählt eine Geschichte, die man zu kennen glaubt und die doch überrascht.
Der in Berlin lebende Regisseur Ilker Çatak machte im Jahr 2015 mit seinem Kurzfilm "Sadakak", der mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde, auf sich aufmerksam. Çatak erzählte von einer Frau, die einem Aktivisten in der Türkei hilft und dadurch selbst ins Visier der Behörden gerät. Mit "Es gilt das gesprochene Wort" legt er nun seinen zweiten Langfilm vor, der erneut eine Geschichte mit gesellschaftlichem Zündstoff zu bieten hat. Es geht in erster Linie um eine Liebe, die nicht sein kann, die aber irgendwie entsteht. Quasi nebenbei blickt Çatak außerdem darauf, wie Immigranten in Deutschland empfangen werden, aber auch, wie Touristen Menschen in armen Ländern ausnutzen.
Marion (Anne Ratte-Polle) nutzt niemanden aus. Eigentlich wollte sie gar nicht in der Türkei Urlaub machen, doch nach einer Brustkrebsdiagnose drängt ihre Affäre Raphael (Godehard Giese) darauf, dass sie etwas entspannen muss, bevor die OP ansteht. Im Urlaub lernt sie den Kurden Baran (Ogulcan Arman Uslu) kennen. Baran ist ein Mann, der Gelegenheitsjobs annimmt, der in einer Bar arbeitet und der weiß, wie man Touristinnen betört – für eine Gegenleistung. In der Regel ist es Geld, eigentlich sucht er aber eine Ehefrau, damit er nach Deutschland ziehen kann.
Marion will nichts von ihm. Sie ist mit sich, mit dem Ende ihrer Affäre und mit ihrer brachliegenden Karriere beschäftigt. Dennoch trifft sie immer wieder auf Baran, der irgendetwas in ihr anspricht. Was, das weiß sie selbst nicht so genau. Schließlich willigt sie doch ein: Baran folgt ihr nach Deutschland, die beiden heiraten. Drei Jahre soll die Scheinehe halten, dann gehen sie wieder ihrer Wege, so der Plan. Aber Baran, der hart für ein neues Leben arbeitet, beeindruckt Marion immer mehr – und er fühlt sich von ihr angezogen. Doch kann eine Liebe, die unter solchen Umständen entstand, wirklich Bestand haben?
"Es gilt das gesprochene Wort" macht es sich nicht leicht. Der in drei Kapitel unterteilte Film ist exakt in seiner Charakterzeichnung. Er erschafft tief greifende Porträts zweier Menschen, die sehr unterschiedlich sind, die aber – so unwahrscheinlich es auch sein mag – etwas verbindet, das sie selbst nicht in Worte fassen können. Das verleiht dem Film etwas Unscheinbares, fast schon Märchenhaftes. Weil im wahren Leben wohl keine Frau jemandem, den sie zwei Tage kennt, die Ehe versprechen würde. Aber es funktioniert, weil Marion eine Frau ist, die vor zu engen Bindungen zurückschreckt. Sie ist Pilotin, was sie immer wieder an andere Orte bringt. Weg von allen, hin zum Alleinsein. Darum hat sie auch nur einen Liebhaber, der leicht zu ersetzen ist. Aber die Unverbindlichkeit der Ehe mit Baran lässt sie an etwas schnuppern, das sie nie haben wollte.
Baran ist ein Mann, der anständig ist, auch wenn er manchmal klaut. Er arbeitet daran, sich und sein Leben zu verbessern. Und doch wirkt er etwas verloren, als der Fremde in einem fremden Land, der er nun mal ist. Weil die Gepflogenheiten anders und die Rollenmuster umgekehrt sind. Marion ist die Stärkere von beiden, Baran fügt sich. Das ist über weite Teile hinweg eine kuriose Form von Zweckgemeinschaft, aber eine, in der es knistert, weil beide sich zueinander hingezogen fühlen – wenn schon nicht gleich, so doch im Verlauf dieser Scheinehe. Aber über allem hängt ein Damoklesschwert, weil der möglichen Zukunft der beiden jede Menge Hindernisse im Weg stehen.
Regisseur Ilker Çatak erzählt sehr präzise, fast ein wenig unterkühlt. Seine Figuren sind gut entwickelt, es sind jedoch die Schauspieler, die sie wirklich glänzen lassen. Ogulcan Arman Uslu ist die Entdeckung des Films. Ein junger Mann, der es schafft, in drei Sprachen zu spielen – und dabei reichlich Nuancen bietet. "Es gilt das gesprochene Wort" ist ein gelungenes Spiel mit den Erwartungen, vom ersten bis zum dritten Kapitel – und mit einem Ende, das man seiner Konsequenz wegen nur bejubeln kann.
Quelle: teleschau – der Mediendienst