Xhafer (Mišel Matičević) glaubt, dass er von seinen Kollegen gemobbt wird.
Visar Morina lässt in "Exil" einen Chemieingenieur durch die Hölle seiner eigenen Vorurteile gehen - oder wird der von seinen Kollegen wirklich gemobbt?

Exil

KINOSTART: 20.08.2020 • Drama • D/B (2020) • 121 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Exil
Produktionsdatum
2020
Produktionsland
D/B
Laufzeit
121 Minuten

Filmkritik

Spiel mit Stereotypen
Von Christian Gehl

In einer kafkaesken Bürowelt fühlt sich ein Chemieingenieur von seinen Kollegen gemobbt. Wo Vorurteile regieren, kann keine Kommunikation stattfinden, das zeigt dieses deutsche Psychodrama eindrucksvoll.

Zuallererst einmal: "Exil" ist ein spannender Film. Ein sehenswerter Film. Doch er bedient sich einiger fragwürdiger Methoden, die nach dem Verlassen des Kinos das Gefühl hinterlassen, gerade etwas Unrechtes gesehen zu haben. Um was geht es? Xhafer (Mišel Matičević) arbeitet in einem Pharmaunternehmen, ist mit Nora (Sandra Hüller) verheiratet, hat drei Kinder und lebt in einer Reihenhaussiedlung irgendwo in Deutschland. Der Glamourfaktor dieses Lebens tendiert gegen Null, rein äußerlich gesehen ist aber auch kein Grund vorhanden, zu verzweifeln. Und doch geht Xhafer irgendwann nur noch mit schweißnassem Hals durch die düsteren, beklemmenden Gänge seiner unpersönlich wirkenden Arbeitsstätte.

Es fängt damit an, dass eine tote Ratte an seinem Gartenzaun hängt, dann sitzt er 20 Minuten im falschen Raum, während die Kollegen sich ganz woanders besprechen. Die Raumverlegungs-Mail hat er nicht bekommen. Gut, kann passieren, denkt er sich, und seine Frau bestätigt ihn. Aber dann verweigert ihm Urs (Rainer Bock) wichtige Dokumente, und das trotz mehrmaliger Aufforderung. Schließlich wird Xhafer vor versammelter Mannschaft als inkompetent bezeichnet. Der Grund: Er hat eine Studie ohne die Belege aus eben diesem Dokument abgeschickt. Und schließlich steht plötzlich auch noch der Kinderwagen lichterloh brennend vor seiner Haustür. Xhafer fühlt sich verfolgt, gemobbt, bedroht, sieht überall nur noch Zeichen, dass seine Kollegen ihn weghaben wollen, verdächtigt seine Frau, dass sie ihn betrügt (er selbst hat aber Sex mit der Putzfrau auf der Firmentoilette), wird zunehmend stoischer, unduldsamer und misstrauischer.

Die Kamera bleibt Xhafer dabei buchstäblich im Nacken, auch die Atmosphäre zu Hause und am Arbeitsplatz fangen Regisseur Visar Morina (im Kosovo geboren, in Berlin aufgewachsen) und sein Kameramann Matteo Cocco mit eindringlichen Bildern ein. Das gesamte Schauspielerensemble ist hervorragend, man glaubt ihnen ihre Rollen von der ersten Szene an. Doch mit zunehmender Dauer des Spielfilms – es ist Morinas zweiter – schleicht sich Unbehagen ein. Nicht, weil immer deutlicher wird, dass Xhafer sich möglicherweise alles nur einbildet, sondern weil die Bilder Deutschland und die deutsche Arbeitskultur in einem Licht zeigen, die Xhafers Vorwürfe als nur allzu berechtigt erscheinen lassen. Zu Hause brennen die Glühbirnen schwach, es ist stets halbdunkel, und genauso gedämpft verlaufen die Gespräche mit seiner Frau, die von sich aus kaum ein Wort herausbringt. Und der Arbeitsplatz dupliziert diese gespenstische Atmosphäre auch noch. Wie bei Kafka hetzen die Menschen hier durch schlecht beleuchtete Gänge, von Kollegen kann kaum die Rede sein, so gereizt und feindselig wie sie sich geben.

Das alles zeigt Morina aus der Position des Films und nicht aus Xhafers Sicht, und deshalb bleiben die Bilder im Kopf des Zuschauers bestehen. Da kann "Exil" noch so sehr versuchen, den Konflikt ins Innere des Protagonisten zu verlagern. Deutschland wird als Land gezeigt, aus dem man eigentlich nur flüchten kann.

Regisseur Morina spielt hier auf eine Weise mit Stereotypen, die gegen Ende des Films hin immer unlauterer wirkt. Klar, das Deutschland-Bild, das hier vermittelt wird, soll vor allem die Vorurteile des Protagonisten widerspiegeln. Es geht um Selbst- und Fremdwahrnehmung. Xhafer fühlt sich als Ausländer gemobbt, sieht Fremdenfeindlichkeit an jeder Ecke und bestätigt damit letztlich – wahrscheinlich – doch nur seine eigenen Vorurteile von den fremdenfeindlichen Deutschen. Doch während er all diese Indizien sammelt – die im Endeffekt eben vielleicht doch keine sind -, zeigt die Kamera alle deutschen Figuren sowie die Atmosphäre, die sie erzeugen, als bedrückend. In der Arbeit muss Xhafer gegen wahlweise unfreundliche oder aber aufdringliche und bemitleidenswerte Kollegen kämpfen, zu Hause empfängt ihn der abweisende Blick seiner Frau.

"Exil" dreht den Spieß um: Statt wie sonst in vielen Filmen das Ausland, wird hier Deutschland, emotional gesehen, als Entwicklungsland gezeigt. Wenn das mal kein Klischee ist. Doch genau dagegen tritt "Exil" eigentlich an: unser aller Vorurteile anzuprangern, die eigenen gegenüber Menschen aus anderen Kulturen, aber, in der Person von Xhafer, auch die von Migranten gegenüber Deutschland. Insofern ist "Exil" ein sehr kluger und wichtiger Film, und einer, der seinen Anspruch auch filmisch einlösen kann. Wenn da nicht dieses mulmige Gefühl im Bauch wäre ...


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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