Wie die eigenen Eltern zu den Nazis und Hitler standen, also wie sie wirklich dazu standen: Bis heute tragen viele Deutsche diese hochsensible Frage mit sich herum wie Blei. Zwischen Verdrängung, Vergessen und Traumabewältigung blieb sie oft unbeantwortet, und irgendwann wird sie niemand mehr stellen. Bei dem zwölfjährigen Nanning ist die Sache allerdings von Beginn an klar: Seine Mutter ist glühende Nationalsozialistin, mit Führerbildern und allem, was sonst eben auch dazugehört. Dann fällt der Nationalsozialismus in sich zusammen. Was bleibt, ist eine große Leere und Lust auf Süßes.
In "Amrum" erzählt Fatih Akin die Geschichte von Hark Bohm nach, der auch selbst am Drehbuch mitschrieb. Bohm, Jahrgang 1939, und Fatih Akin sind gute Freunde. Eigentlich wollte der Schauspieler, Autor, Regisseur und Kulturwissenschaftler Bohm seine Kindheitserinnerungen selbst verfilmen, dann überließ er sie doch seinem Kumpel. Bei Fatih Akin, einem der angesehensten deutschen Filmemacher der Gegenwart, der auch schon Hollywood-Luft schnupperte, scheint "Amrum" gut aufgehoben. Für Nebenrollen konnte er Stars wie Diane Kruger, Matthias Schweighöfer und Detlev Buck gewinnen, die Kritiken fielen nach der Premiere in Cannes überwiegend gut aus. So landete das Coming-of-Age-Drama vor stimmungsvoller Nordsee-Kulisse auch in der Auswahl für den deutschen Oscar-Beitrag.
Die Geschichte beginnt im Frühjahr 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Weil der Vater nicht mehr da ist, kümmert sich die hochschwangere Hille Hagener (Laura Tonke) auf Amrum weitestgehend alleine um die Kinder. Der Älteste, Nanning (Jasper Billerbeck), hilft, wo er kann, geht auf Robbenjagd und fischt nachts in der Nordsee. Irgendwann ist der Krieg dann endgültig vorbei und Hitler tot. Hille verfällt in eine schwere Depression, will nichts mehr essen. Außer ... ein Stück Weißbrot mit Butter und Honig vielleicht, das wäre schön. Ein vermeintlich kleiner Wunsch, der für Nanning zur großen Mission wird.