"Der Hungrige Wolf", eine Raststätte unweit der Autobahn nach Magdeburg. Nur wenige Reisende verirren sich hierhin, eher bestimmen die Bewohner des kleinen Örtchens Möser an diesem beliebten Treff das Bild. Zu den regelmäßigen Besuchern, die an Tresen und Spielautomaten ihre Zeit verbringen und mit Bier die Laune aufbessern, gehören Nico, Lenne und Tomcat. Drei ganz normale Männer zwischen Anfang 30 und Anfang 40, die ein Gast auf der Durchreise wahrscheinlich nur flüchtig wahrnehmen und bald wieder hinter sich lassen würde, zusammen mit der Alltäglichkeit dieses Ortes. Was wäre, wenn man den Mut zusammennähme und sie ansprechen würde? Es käme womöglich ein Dokumentarfilm wie dieser heraus, voll von dramatischen Situationen, bewegenden Gefühlen und spannenden Charakteren. Die beiden jungen Filmemacherinen Judith Keil und Antje Kruska haben diesen Schritt gewagt. Mit einem kleinen Drehteam haben sie Nico, Lenne und Tomcat vom "Hungrigen Wolf" aus in deren Alltag begleitet, haben sie von der Weihnachtszeit bis ins Frühjahr bei ihrem Kampf mit den Widrigkeiten des Lebens beobachtet: Der arbeitslose Nico, schwergewichtig und nach eigener Aussage "sehr schüchtern", wohnt noch bei Mutter und Oma. Diese häusliche Geborgenheit birgt aber den Nachteil ständiger guter Ratschläge, die nur schwer abzuwehren sind, zumal ja was dran zu sein scheint. Nico braucht eine Frau, die ihn so nimmt und liebt, wie er ist, mit der er den Schritt in eine eigene Wohnung wagen könnte. Aber wie bringt man den Mut zu einer erfolgversprechenden Kontaktanzeige auf? Das befreundete Wirtspaar weiß Rat mit originellen Formulierungen. Lenne ist der Älteste der drei und schon seit der Wende '89 arbeitslos. Er pendelt mit seinem Fahrrad zwischen dem "Hungrigen Wolf", der örtlichen Disco und der akribisch aufgeräumten Wohnung hin und her, in der er sich mit Horrorfilmen die Zeit vertreibt. Ein echter Horror ist für ihn der Umschulungsvorschlag des Arbeitsamtes zu einem Beruf, der Schwindelfreiheit erfordert. Doch erst mal muss er beim "Job Shop" lernen, mit dem Computer eine zeitgemäße Bewerbung zu schreiben. Im Gegensatz zu Nico und Lenne hat Tomcat eine Arbeit als Zimmermann, ein entspanntes Verhältnis zu seinen Eltern und eine Freundin. Aber das ist ihm zu wenig. Er träumt von einem Leben als Rebell in der Weite des Wilden Westens, von Freiheit und Abenteuer am Lagerfeuer bei selbstgeschossenem Kaninchen-Steak. In voller Cowboy-Montur durchstreift er die Straßen von Möser, liefert sich stilechte Duelle mit einem gleichgesinnten Freund. Aber der wilde Osten ist nicht Amerika, und vielleicht hilft doch nur das Auswandern. Der Blick des Filmes konzentriert sich ganz auf das Leben dieser drei Alltagshelden, auf ihre Träume und Sehnsüchte, Probleme und Hoffnungen. Durch die wie selbstverständliche Anwesenheit der Kamera wird man zum teilnehmenden Beobachter an den Geschehnissen, an den kleinen und großen Schritten, Dramen und Siegen von Nico, Lenne und Tomcat. Eine intensive Nähe entsteht, die manchmal fast schmerzhaft wird, aber nie zum Voyeurismus im Stil privater Schicksalsreportagen gerät. "Ausfahrt Ost" ist ein Film, der von der Autobahn abgekommen ist, die zu den großen, spektakulären Themen im Osten führt, der seine Spannung in den ganz persönlichen Entwicklungen seiner drei "Hauptdarsteller" findet. Ein Dokumentarfilm, der keine neuen Pauschalaussagen über die Verhältnisse im Osten trifft, sondern von individuellen Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit und neuen Plänen, mit Angst und Mut, mit Vätern und Familie, Liebe und Einsamkeit erzählt. Erfahrungen, die sicher von vielen nachvollzogen werden können, ob im Osten oder Westen Deutschlands. Es ist der erste Film der beiden 26-jährigen Autorinnen Judith Keil und Antje Kruska, die dem vielzitierten "wahren Leben" mit Beharrlichkeit und großem Einfühlungsvermögen auf die Spur gekommen sind. Zum Glück haben sie die richtige "Ausfahrt Ost" genommen.