Noma

KINOSTART: 09.02.2017 • Dokumentarfilm • Großbritannien (2015) • 100 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Noma: My Perfect Storm
Produktionsdatum
2015
Produktionsland
Großbritannien
Laufzeit
100 Minuten
Von Florian Blaschke

Schon in seinem Dokumentarfilm "Die Köche und die Sterne" hatte der Journalist Lutz Hachmeister gezeigt: Spitzenköche sind Besessene. In Paris, New York und Tokio hatte Hachmeister 2010 für Arte gedreht, aber auch in Wolfsburg. Und: in Kopenhagen.

Hier nämlich kocht seit 2003 einer jener Köche, auf die dieses Prädikat ganz besonders zutrifft: der mazedonisch-stämmige Däne René Redzepi. Ihm und seinem "Noma", das bereits vier Mal zum besten Restaurant der Welt gekürt wurde, hat Filmemacher Pierre Deschamps jetzt einen dokumentarischen Kinofilm gewidmet, der schlicht den Namen dieses legendären Lokals trägt: "Noma". Und der den Exzentriker Redzepi und sein Team porträtiert und begleitet.

Dass Redzepti ein Exzentriker ist, spürt man in diesem Film von der ersten Sekunde an, denn der 1977 in Kopenhagen Geborene kocht nicht einfach ein Abendessen, er "verändert die Welt", und das mit Rezepten wie "Wilde Blaubeere und Ameisen" oder "Krosse Rentierflechte, Kräuter und Crème fraîche". Dabei hangelt sich dieser Film zunächst chronologisch an einigen wichtigen Daten entlang: der Eröffnung des Noma, den Auszeichnungen 2010, 2011, 2012 und 2014 oder dem Skandal um eine Lebensmittelvergiftung, die der Besuch im Noma 2013 rund 60 Gästen beschert hat. Dabei ist "Noma" einer dieser Filme, die ohne Kommentar auskommen, deren Zugang zu ihrem Thema allein durch die Zitate, die Monologe der Protagonisten funktioniert, und durch das Spiel der Kamera.

Musik-Clip, Thriller, Doku

Kräuterbouquet und Dip aus schwarzen Ameisen.

Und die schafft einen Film, der eine Mischung ist aus Musik-Clip, Thriller, Doku und Film gewordenem Coffeetable-Book. Ein Hochglanz-Produkt, das seinen Protagonisten so nahe kommen will wie möglich, ohne Stellung beziehen zu müssen. Woran er dabei immer wieder krankt, ist die Redundanz des Gesagten, die teilweise Banalität der Einschätzungen, sowohl von Seiten der Macher als auch von Seiten der Begleiter – andere Köche, Restaurantkritiker, Familie.

Immer wieder predigt René da, wie wichtig der Ort und die Zeit seien, die Region und die Saisonalität. Den Zuschauer lässt dieser Film aber ausgerechnet in diesen beiden Punkten im Stich, denn zum eigentlich Ort, diesem Restaurant in Kopenhagen, kann er kaum eine Beziehung aufbauen. Und der Zeit, der Chronologie der Ereignisse, kann er nicht folgen, einige der Erzählstränge versteht er schlicht nicht.

Doch in seinen besten Momenten ist "Noma" ein Manifest, ein emotionales Plädoyer für eine Küche, nein: für eine Haltung zum Leben, die nichts auf Konventionen gibt, die den Menschen und seine Nahrung als Einheit sieht, die keine Kompromisse einzugehen bereit ist, koste es, was es wolle.

Was dabei besonders viel Spaß macht, ist das Spiel der Kameras. Mal ist es eine Kino-Kamera, die momumentale Bilder produziert, mal eine kleine Handycam, mal eine Action-Cam, die alles aus der Ich-Perspektive verschiedener Protagonisten zeigt.

Ausgeburt an Kreativität

Was der Film bei alledem bravourös schafft, ist aufzuzeigen, wer die Menschen hinter dem Noma sind, wo ihre Schwächen liegen, ihre Eitelkeiten, ihre sympathischen und unsympathischen Charakterzüge. Er erzählt eindrücklich von ihren Überzeugungen, von der drohenden und der tatsächlichen Hybris, die mit einem solchen Projekt einhergeht – und das, obwohl er die Menschen sogar schont und den Restaurantalltag harmloser darstellt als er wirklich ist. Doch er zeigt ganz wunderbar den schmalen Grat zwischen der Liebe zum Essen und zum Kochen und dem Snobismus der Sterne-Gastronomie, all die Demütigungen, die das Leben René und die er selbst anderen zufügt.

Und somit gelingt Pierre Deschamps etwas, das nur wenigen Dokumentarfilmern gelingt: Er entwickelt seine Charaktere regelrecht, sie verändern sich in der kurzen Zeit dieses Films und der Zuschauer verändert seine Einstellung zu ihnen. Sympathien und Abneigungen, Zustimmung und Ablehnung machen eine Wandlung durch, und am Ende ist es diese Wandlung, die den Großteil des Spannungsbogens ausmacht.

All das bringt der Film eindrucksvoll rüber, auch wenn er in der Inszenierung teils doch arg bemüht wirkt, wenn er Musik, Kameraführung und Schnitt hin und wieder missbraucht, um sich selbst in den Vordergrund zu spielen, als sei er eifersüchtig auf René Redzepi und sein Noma, als habe er das Gefühl mithalten zu müssen mit dieser unglaublichen Ausgeburt an Kreativität. Dabei wird er manchmal ein Stück zu pathetisch, in seinen besten Momenten aber auch wundervoll poetisch.

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