Landrat Hans Schuierer (Johannes Zeiler, links) wandelt sich vom Befürworter zum Gegner der WAA Wackersdorf - weil bei dem geplanten Projekt rechtsstaatliche Prinzipien ausgehebelt und wichtige Informationen verheimlicht wurden.
Ein Landrat wird zum Symbol des Protests: "Wackersdorf" erzählt die Geschichte des Widerstands gegen die nukleare Wiederaufbereitungsanlage als Politthriller und Heimatfilm.

Wackersdorf

KINOSTART: 20.09.2018 • Drama • D (2018) • 122 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Wackersdorf
Produktionsdatum
2018
Produktionsland
D
Laufzeit
122 Minuten
Kamera

Filmkritik

Über Heimat, Willkür und Widerstand, Gehorsam und Zivilcourage
Von Andreas Fischer

Auf eine strahlende Zukunft wollten die Menschen in der Oberpfalz gerne verzichten: "Wackersdorf" erzählt klug, differenziert und äußerst spannend von den Atomprotesten, die in den 1980er Jahren zu bürgerkriegsähnlichen Szenen in Nordbayern führten.

Der Begriff Heimat spielt in "Wackersdorf" die zentrale Rolle. Allerdings wird er anders genutzt, als er politisch zurzeit propagiert wird. Vor allem rechts von der Mitte gilt Heimat ja als Trutzburg, die mit allen Mitteln verteidigt werden muss. Für die Menschen freilich ist Heimat dort, wo sie leben, und zwar miteinander. Auch sie sind bereit, die Heimat zu verteidigen, nicht aus politischem Kalkül, sondern weil sie ihnen am Herzen liegt – egal, ob sie links-alternativ sind oder katholisch-konservativ, ob sie SPD wählen oder die CSU, ob sie Rentner sind, Professor oder Pfarrer. Im Protest gegen die nukleare Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf sind sie alle gleich. Regisseur Oliver Haffner erzählt davon in einem vortrefflichen Film, der die Realität nur leicht fiktionalisiert.

Der Schwandorfer Landrat Hans Schuierer, herausragend vom Österreicher Johannes Zeiler gespielt, hat wahrlich keinen leichten Job. In der Oberpfalz gehen Anfang der 1980er Jahre die Lichter aus. Die Region im Norden Bayerns siecht – es gibt keine Jobs und keine Perspektiven, viele Menschen ziehen weg. Das "Angebot" der Münchner Landesregierung, in Wackersdorf ein "zukunftsweisendes, industrielles Großprojekt" anzusiedeln, muss dem SPD-Politiker natürlich wie ein Geschenk vorkommen. WAA – diese drei Buchstaben bringen 3000 neue Arbeitsplätze! Da muss doch das Herz eines jeden Kommunalpolitikers lachen. Widerstand ist zwecklos und in München auch nicht erwünscht.

"Wackersdorf" ist auch ein Lehrfilm über das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern – freilich ohne dabei trocken oder belehrend zu sein. Allein die Weißwurst-Szene: Da sitzt ein Gesandter der Staatsregierung im örtlichen Sportlerheim, um Schuierer das WAA-Projekt schmackhaft zu machen. Mit Weißwürsten, natürlich aus der Landeshauptstadt. Die Rezeptur sei dort einfach besser, sagt er und klatscht dem Oberpfälzer die Münchner Wurst auf den Teller, die er gefälligst zu essen hat. Das hat etwas von Realsatire.

Schuierer aber versteht sich nicht als Handlanger der Obrigkeit, sondern als Mann der Heimat. Heimat, das sind für ihn die Menschen in ihrem persönlichen Umfeld, in ihrem Alltag, mit ihren Ängsten und Sorgen. Für die Heimat ist er bereit, seine Einstellungen zu überdenken.

Ohne zu wissen, was eine WAA eigentlich ist, genießt Schuierer aber erst einmal den Augenblick der Hoffnung. Doch nicht alle Menschen in seinem Landkreis sind von der nuklearen Wiederaufbereitungsanlage begeistert. Auch beim Landrat kommen Zweifel auf, und so fängt er an, sich die Informationen zu beschaffen, die ihm die Münchner genauso verschweigen wie der joviale Abgesandte der Atomlobby – Fabian Hinrichs in einer bemerkenswerten Nebenrolle. Statt bei Google und Wikipedia gab es Wissen damals in Bibliotheken: Also liest sich Schuierer durch dicke Wälzer.

Das dauert etwas, ist aber nicht der einzige Grund, warum sich Schuierer Zeit lässt für seinen Sinneswandel vom Befürworter zum Gegner der WAA. Er ist ein besonnener Mann, einer der abwägt und seine Entscheidungen bedächtig fällt, bestimmt in seinem Auftreten ist, ohne militant zu sein. Mit Hans Schuierer hat Regisseur und Co-Autor Oliver Haffner eine spannende, reale Figur konsequent in den Mittelpunkt seines Films gestellt, die mit ihren Zweifeln und ihrer Zurückhaltung zur Identifikation taugt. Dadurch kann sie sehr viel und sehr differenziert über die Formierung des Widerstands gegen die WAA Wackersdorf erzählen – zu dem eben nicht nur linke Aktivisten gehörten.

Die Linken wollten Schuierer gar nicht beim Protest dabei haben, ein Politiker in ihren Reihen – unvorstellbar. Aber von der Atomfabrik wären alle Menschen betroffen gewesen, und Schuierer sieht sich als Landrat aller Menschen. Er fühlt sich der Heimat verpflichtet, glaubt an den Auftrag der Wähler und an die Rechtsstaatlichkeit. Doch die wurde bei den Wackersdorf-Protesten systematisch ausgehebelt.

Weil sich Schuierer mit München anlegte und sich weigerte, Baugenehmigungen zu unterzeichnen, änderte der Münchner Landtag kurzerhand das Verwaltungsrecht und entmachtete den Landrat mit der "Lex Schuierer" praktisch. Auf seine Heimat, fanden Franz-Josef Strauß und Co., haben sie ein Monopol – und sie gingen nicht zimperlich um, es durchzusetzen. In Wackersdorf fuhr die Staatsgewalt damals – oft ohne rechtliche Grundlage – alles auf, was das Arsenal hergab. Hundertschaften der Polizei, Hubschrauber, Tränengas – und scharfe Rhetorik.

Differenziert und facettenreich erzählt Oliver Haffner in seinem klugen Film von Willkür und Widerstand, von Gehorsam und Zivilcourage. Er verzichtet darauf, die historischen Ereignisse zu dramatisieren, greift für die historischen Szenen am Bauzaun der WAA auf Archivmaterial aus der "Tagesschau" zurück. Und die zeigen, wie wichtig es ist, zu zweifeln, mutig zu sein und für demokratische Werte aufzustehen. Damals wie heute.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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