Nur wenige Komponisten der vergangenen 60 Jahre hatten so viele populäre Erfolge oder weltweiten Einfluss wie John Barry. Der vielfache Preisträger - fünf Oscars, vier Grammys und eine ganze Reihe anderer Ehrungen vom Golden Globe bis zum britischen Anthony Asquith Award - hat einige der unvergesslichsten Filmmusiken unserer Zeit geschrieben: "James Bond 007 - Goldfinger" (1964), "Frei geboren - Königin der Wildnis" (1966), "Asphalt-Cowboy" (1968), "Jenseits von Afrika" (1985), "Der mit dem Wolf tanzt" (1990), "Ein tödlicher Traum" und Dutzende weiterer Soundtracks. Seit Jahrzehnten staunten die Kritiker immer wieder über den Barry-Touch, über seine Fähigkeit, Stimmung und Ambiente eines jeden Films gleich welchen Genres einzufangen - von den ausgefallenen Abenteuern eines James-Bond-Thrillers bis zu den episch-romantischen Visionen der heute führenden Filmemacher- und dabei doch einen ganz eigenen Stil zu bewahren.
Barry wurde 1933 als John Barry Prendergast im englischen York geboren. Sein Vater besaß eine Kette von Filmtheatern, in denen John als Jugendlicher arbeitete; dort bildete sich auch seine Begeisterung für Filme und Filmmusik heraus. Schon als Teenager spielte er Trompete und betrieb ein Musikstudium, das er auch während seiner dreijährigen Militärzeit fortsetzte (unter anderem machte er einen Fernkurs bei Bill Russo, dem berühmten Arrangeur von Stan Kenton).
Erfolgreicher James-Bond-Komponist
Nach Abschluss seines Militärdienstes gründete er eine Band, die John Barry Seven, die bei verschiedenen Live-Auftritten sowie in beliebten TV-Tanzshows wie "Six-Five Special", "Oh Boy!" und "Drumbeat" Rock 'n' Roll spielte. 1958 begleitete seine Band den aufstrebenden Rockstar Adam Faith, und als dieser 1960 mit "Heiß auf nackten Steinen" sein Filmdebüt gab, steuerte Barry einen Mix aus Jazz und Rock bei. "Heiß auf nackten Steinen" war der erste britische Film, von dem ein Soundtrack auf LP herausgebracht wurde. Barrys Experimente mit Streicharrangements (vor allem auf seinem ersten Album "Stringbeat") seine Tätigkeit als Arrangeur und Produzent für EMI-Künstler und sein lang gehegter Wunsch, auf einer breiteren musikalischen Palette zu komponieren, brachte ihm schon bald eine Reihe von Aufträgen für Lowbudget-Filme ein. All dies sollte sich schlagartig ändern, als der Geheimagent Ihrer Majestät 1962 die Filmszene betrat.
Barrys "James-Bond-Thema", das er für den ersten 007-Film "James Bond 007 - Jagt Dr. No" (1962) schrieb, wurde kommerziell so erfolgreich, dass die Produzenten Albert R. Broccoli und Harry Saltzman den Komponisten auch mit den Soundtracks für die weiteren Filme der Serie beauftragten. Seine verwegene, freche und aufregende Musik wurde zu einem Schlüsselelement des Bond-Stils. Er schrieb die Scores zu "James Bond 007 - Liebesgrüße aus Moskau" (1963), verdrängte mit "Goldfinger" sogar die Beatles vom Spitzenplatz der amerikanischen Hitlisten und blieb der 007-Tradition die ganzen Sechzigerjahre hindurch treu mit "James Bond 007 - Feuerball" (1965), "James Bond 007 - Man lebt nur zweimal" (1966) und "James Bond 007 - Im Geheimdienst ihrer Majestät" (1969).
James-Bond-Komponist blieb Barry drei Jahrzehnte lang und erlebte auch drei weitere Bond-Darsteller (George Lazenby, Roger Moore, Timothy Dalton) - bis zu "James Bond 007 - Der Hauch des Todes" von 1986 wurden es insgesamt zwölf Filme. Seine Bond-Titelsongs wurden von einigen der größten Namen in der Popszene interpretiert, von Shirley Bassey ("Goldfinger", "James Bond 007 - Diamantenfieber") über Duran Duran ("James Bond 007 - Im Angesicht des Todes") bis zu Chrissie Hynde und a-ha ("Der Hauch des Todes").
Auch jenseits von "007" erfolgreich
Aber während Barry für seine Bond-Musik weltberühmt wurde, arbeitete er ab Mitte der Sechzigerjahre gleichzeitig mit sehr anderen musikalischen Stilen für ganz andere Filme: ein leichter, lyrischer Touch für den Film über afrikanische Löwenfamilie "Frei geboren - Königin der Wildnis", für den er gleich zwei Oscars erhielt - beste Musik und bester Song; ein knapper, dramatischer und überraschend amerikanischer Score für das von Sam Spiegel mit großem Staraufgebot produzierte Südstaaten-Drama "Ein Mann wird gejagt" (1965) von Arthur Penn; und jazzige, moderne Orgelsoli für Richard Lesters Komödie "Der gewisse Kniff" (1964), um nur einige wenige zu nennen.
Auf seiner rastlosen Suche nach ungewöhnlichen Klängen machte sich der Komponist gleichzeitig daran, auch die Randerscheinungen des musikalischen Spektrums auszuloten, woraus einige der frischesten, bisweilen sogar verblüffendsten Scores der Sechzigerjahre entstanden: ein Cymbalum für "Ipcress - streng geheim" (1965), eine Drehorgel für "Das Quiller Memorandum: Gefahr aus dem Dunkel" (1966), eine gehauchte Frauenstimme für "Der gewisse Kniff", ein Cembalo für "Flüsternde Wände" (1966), ein Moog-Synthesizer für "James Bond 007 - Im Geheimdienst Ihrer Majestät" und viele andere mehr. John Barrys Musik prägte viele Kinohits, vom Breitwand-Kriegsfilm "Zulu" (1963) bis zu der von der Kritik gefeierten und inzwischen klassischen Verfilmung des Bühnenstücks von James Goldman "Der Löwe im Winter" mit Peter O'Toole und Katharine Hepburn in den Hauptrollen. Für diese Filmmusik - ein Score, das auf geschickte Weise Chorgesang mit dunkleren Orchesterfarben kombinierte, um das England des 12. Jahrhunderts lebendig werden zu lassen - gewann Barry seinen dritten Academy Award wie auch den renommierten Anthony Asquith Award der British Film Academy für eine Originalfilmmusik. Unmittelbar nach diesen Spitzenpreisen erhielt er seinen ersten Grammy für das wehmütige Harmonika-Thema zu John Schlesingers aufsehenerregendem "Asphalt-Cowboy".
Erfolgreiche Zusammenarbeit mit Bryan Forbes
Besonders erfolgreich arbeitete Barry mit dem Regisseur Bryan Forbes zusammen, der den Komponisten erstmals 1963 für zwei Jazz-Nummern in "Das indiskrete Zimmer" engagierte. Als Folge davon komponierte Barry dann das komplette Score für weitere Forbes-Filme, wobei er oft ungewöhnliche Ensembles einsetzte: eine Kammermusik-Gruppe für den Krimi "An einem trüben Nachmittag", einen düsteren, aber atmosphärisch dichten Sound für das Kriegsgefangenendrama "Sie nannten ihn King", eine ansprechende Partitur für Dame Edith Evans in "Flüsternde Wände" und einen lebhaften, zeitgenössischen Score für die Komödie "Letzte Grüße von Onkel Joe". Das einsätzige Gitarrenkonzert, das Barry für eine 15-minütige Juwelenraubsequenz in "Die Todesfalle" (1967) schrieb, ist eine der gelungensten Verbindungen zwischen filmischer Bildern und Orchestermusik der Sechziger, die bis heute ihresgleichen sucht.
In den Siebzigern orientierte sich Barry in alle musikalischen Richtungen, von der Bühne bis zur Leinwand und zum Fernsehen. Nachdem er 1965 mit der Show "Passion Flower Hotel" großen Erfolg im Londoner Westend gehabt hatte, arbeitete er mit dem berühmten Texter Alan Jay Lerner an der kurzlebigen Produktion "Lolita, My Love" zusammen, und 1974 gelang ihm mit dem Musical "Billy", das er gemeinsam mit seinem langjährigen Freund, dem Texter Don Black geschrieben hatte und in dem Michael Crawford die Hauptrolle spielte, ein sensationeller Hit in der Londoner Theaterszene. Der inzwischen gereifte Komponist, Arrangeur und Produzent war auch weiterhin in der Filmwelt sehr gefragt und schrieb die unterschiedlichsten Partituren. Seine zarte und zugleich dramatische Musik für den Historienfilm "Maria Stuart, Königin von Schottland" (1971) brachte ihm eine weitere Oscar-Nominierung ein, anschließend schrieb er (wiederum mit Don Black) verschiedene Songs für das mit Starbesetzung produzierte Musical "Alice's Adventures in Wonderland". Ob künstlerische Erfolge wie "Walkabout" von Nicolas Roeg und "Der Tag der Heuschrecke" (1974) von John Schlesinger oder kommerzielle Hits wie "King Kong" (1976), "Die Tiefe" (1977) und "Das schwarze Loch" - all diesen Filmen verlieh Barrys Musik das gewisse Etwas.
Vom "Action"-Komponisten zum Romantiker
Hits schuf Barry auch für das Fernsehen, so etwa mit der Titelmelodie zu "Die Zwei", einer unbeschwerten Serie mit Tony Curtisund Roger Moore. Katharine Hepburn, die Barry bei den Dreharbeiten zu "Der Löwe im Winter" schätzen lernte und seitdem mit ihm befreundet war, überredete ihn auch, die Musik für ihre wichtigsten Fernsehauftritte zu schreiben, darunter "Die Glasmenagerie" (1987, ein reiner Klavierpart, vom Komponisten selbst gespielt) und "Liebe in der Dämmerung" (ein charmanter, mit einem Emmy ausgezeichneter Liebesfilm mit Hepburn und Laurence Olivier). Auch die Scores, die Barry in den Siebzigerjahren für die TV-Serie "Eleanor und Franklin" und deren Fortsetzung komponierte, gehörten zum Bemerkenswertesten, was der Bildschirm an musikalischen Leistungen zu bieten hatte. Sein Etikett als "Action"-Komponist - das er vor allem seinen legendären James-Bond-Scores verdankte - legte Barry in den Siebziger- und Achtzigerjahren immer mehr ab, als er verschiedene ausgesprochen romantische Musiken schrieb, vor allem für die Robin-Hood-Verfilmung mit Sean Connery und Audrey Hepburn "Robin und Marian" (1976) und den Kultfilm "Ein tödlicher Traum", dessen Soundtrack durch vielfach wiederholte Ausstrahlungen im Kabelfernsehen zu einem absoluten Verkaufshit wurde. Es folgten eine sinnliche Musik mit Jazz-Anklängen für "Heißblütig - Kaltblütig" (1981) sowie ein überschwänglicher, bewegender und unvergessener Score für Sydney Pollacks Melodram "Jenseits von Afrika" (1985), der Barry seinen vierten Oscar einbrachte. Für diesen Film gewann er zudem einen Grammy und einen Golden Globe; einen weiteren Grammy erhielt er für seine Filmmusik zu Francis Ford Coppolas "Cotton Club" (1984).
Eine schwere Erkrankung im Jahre 1988 zwang den Komponisten zu einer längeren Unterbrechung seiner Arbeit. Nach einer Pause von zwei Jahren meldete er sich mit einer symphonischen Partitur für Kevin Costners epischen Western "Der mit dem Wolf tanzt" (1990) zurück; diese komplexe, packende Filmmusik wurde mit einem fünften Oscar und einem vierten Grammy gewürdigt. Seitdem gab es eine Vielfalt von Leistungen in den unterschiedlichsten musikalischen Bereichen: eine weitere Oscar-Nominierung (für den melancholischen Soundtrack zu "Chaplin", 1992); eine 3-IMAX-Produktion (den New Yorker Reisefilm "Across the Sea of Time"); eine triumphale Rückkehr aufs Konzertpodium (als Dirigent des English Chamber Orchestra in der Londoner Royal Albert Hall 1998 und 1999); ein verschwenderisches, abwechslungsreiches Album mit Originalstücken unter dem Titel "The Beyondness of Things"; und eine Sammlung von Jazz-Melodien für die Miramax-Produktion "Leben und Lieben in L.A." (1998) , die für die CD-Version erheblich erweitert wurde.
Im Juni 1999 ernannte Königin Elisabeth II. den Komponisten wegen seiner herausragenden musikalischen Leistungen zum Officer of the British Empire. Im Oktober desselben Jahres wurde er auf dem alljährlich in London stattfindenden Music Industry Trust Dinner geehrt, einer Benefizveranstaltung mit Starbesetzung, bei der über 200000 Dollar für Wohltätigkeitszwecke zusammenkamen. Im Juli 2001 wurde er zum Ehrendoktor der Universität York ernannt. John Barry lebte mit seiner Frau Laurie und seinem Sohn Jonpatrick in Oyster Bay im US-Bundesstaat New York. In den letzten Jahren seines Lebens hatte John Barry viele gesundheitliche Probleme. Am 30. Januar 2011 starb er in einem Krankenhaus in Glen Cove an den Folgen eines Herzanfalls.